Galerie Gut Gasteil

Ausstellungseröffnung

Zu den Arbeiten von Karoly Klimo und Franz Blaas 

Johann Berger, 2008

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

Danke, daß Sie da sind. Das ist durchaus nicht selbstverständlich, denn die Alternativen sind vielfältig und werben mit Superlativen. Die Viennafair beispielsweise zeigt „die größte und interessanteste Galerienauswahl, die bisher in Österreich zu sehen war“ (DI Matthias Limbek, Reed Exhibitions Messe Wien). Daß der Superlativ von interessant zu übertreffen ist, zeigen Sie, sehr geehrte Damen und Herren, indem Sie hier sind und damit den Veranstaltern signalisieren: eine Galerie, die Galerie Gut Gasteil interessiert sie noch mehr als 126 Galerien aus 19 Nationen, und die beiden hier ausstellenden Künstler, Karoly Klimo und Franz Blaas dürfen sich Ihrer Aufmerksamkeit erfreuen – und sind damit gegenüber den 1000 Künstlern auf der Kunstmesse privilegiert.

Die Alternativen sind vielfältig zwischen Weistrach und Wolkersdorf, Primmersdorf und Bad Fischau-Brunn, „in den letzten 20 Jahren hat die Kunst auch den öffentlichen Raum in ländlichen Regionen erobert“, vermeinen der Landeshauptmann und die Landesrätin für Kultur und wir, sehr geehrte Damen und Herren, gehen nochmals eineinhalb Jahrzehnte in die Vergangenheit zurück und erinnern uns, wie und wo damals „impulse“ gesetzt worden sind, die bis heute ausstrahlen. Rund dreieinhalb Jahrzehnte für die Kunst, für ein lebendiges kulturelles Dasein in Niederösterreich, das ist es, wofür ich Sie um eine kleine Geste des Einverständnisses bitten darf, um einen Applaus für die Gastgeber.

Viele von uns sind in ihren Biographien mit dem vielfältigen Wirken von Charlotte und Johannes Seidl verbunden. Daß die historische Dimension dieses Engagements sich bereits am Zeithorizont der Generation zu messen hat, wollen wir gar nicht weiter mit der eigenen Befindlichkeit in Bezug bringen. Daß aber dort, wo einst scheinbar unüberwindliche Grenzen waren heute etwas Realität geworden ist, was unter dem Kürzel CEE, Central and Eastern Europe, als Terrain kontemporärer Lebenstüchtigkeit gilt, das dürfen wir auf Kunstmessen und in Gasteil wahrnehmen. Und daß mit der wirtschaftlichen Prosperität dieser Region sich ein kultureller Reichtum entfaltet, mag dort abzulesen sein, wo – wie im beispielhaften Niederösterreich – der öffentliche Raum und Kunst in einen fruchtbaren Dialog treten.

Was uns Ausstellungsbesucher und Beobachter des Kunstgeschehens freut, der Reichtum künstlerischen Schaffens, mag für den einzelnen Künstler ein inspirierendes, aber auch herausforderndes Umfeld darstellen.

Überleben in Zeiten der Pictorrhöe, so könnte deshalb ein Roman heißen, in dem die Helden Karoly Klimo und Franz Blaas nachempfunden sein könnten (wenn ihn jemand von Ihnen schreiben möchte und dafür den Nobelpreis bekommt – soll ja schon vorgekommen sein – darf ich für die Überlassung des Titels um ein nobles Abendessen gebeten haben). Wir lassen die beiden Protagonisten in Provinzregionen ihrer Heimatländer aufwachsen, beschreiben in einprägsamen Szenen die unterschiedlichen politischen Systeme, lassen sie etwa zwei Jahrzehnte zeitversetzt ihre akademischen Ausbildungen in den Hauptstädten durchlaufen und entwickeln die Romanhandlung in drei Regionen.

Eine ist von der ungarischen Spielart des Realsozialismus geprägt, eine von so charmanten Themen wie Wirtschaftswachstum, Sozialpartnerschaft und Vergangenheitsbewältigung und die dritte Region metastasiert sozusagen überall hinein, sie erweitert ihr Terrain ständig, meistens unbemerkt von einer größeren Öffentlichkeit, sie haben es bereits erraten, hier geht es um das „global village“ der Kunst. In den Dörfern gibt es Familien, Fehden, Erbschaften und Streitereien, Außenseiter und Bürgermeister, Bündnisse und Banden (Bazon Brock hat das Copyright auf die Trademark „Gottsucherbande“) warum sollte das im Kunstdorf auch anders sein, als in einem profanen. Und weil im Kunstdorf das Leben so verläuft, wie überall sonst auch, funktioniert hier auch jenes „kommunikative Gedächtnis“, von dem Aleida und Jan Assmann berichten:

„Wenn wir den typischen Dreigenerationen-Zeitrahmen des kommunikativen Gedächtnisses als einen synchronen Erinnerungsraum auffassen, dann bildet das kulturelle Gedächtnis anhand weit in die Vergangenheit zurückreichender Überlieferungen eine diachrone Achse.“ (Jan Assmann, Religion und kulturelles Gedächtnis – zehn Studien. München 2004, S 19)

Sie bemerken, warum ich eingangs den wirtschaftsgeographischen Terminus CEE strapaziert habe und von der Erinnerungsdimension einer Generation gesprochen habe. Wir wollen unsere beiden Romanhelden aus dem Blickpunkt ihrer Zeitgenossenschaft wahrnehmen, und im Folgenden versuchen, im „synchronen Erinnerungsraum“ der kunsthistorischen Verwandtschaft nachzuspüren. Also überantworten wir das Dorf der Kunst den großen Kommunikatoren, zumal jenen, die zu den Großvatergenerationen gehören und lassen wir sie in den Gewändern der Dreißiger- bis Fünfzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts auftreten.

Beispielsweise Georges Bataille 1930. Elegant und mit großen Worten: „Tatsächlich müßte das ganze Universum Form annehmen, um die Herren Akademiker zufriedenzustellen. Die gesamte Philosophie hat kein anderes Ziel: Ihr geht es darum, allem, was ist, einen mathematischen Gehrock überzustreifen. Dagegenzuhalten, daß das Universum nichts anderem ähnelt und ganz einfach nur formlos ist, hieße soviel wie behaupten, das Universum sei so etwas wie eine Spinne oder ein Rotz.“

Oder Jean Dubuffet 1949: „Die Ideen und die komplexen Ideenkonstruktionen sind vielleicht ein Weg zur Erkenntnis, aber die Kunst ist ein anderes Mittel der Erkenntnis und geht ganz andere Wege: diejenigen der seherischen Gabe. Die seherische Gabe kann mit den Gelehrten und Intelligenzlern nichts anfangen, das ist nicht ihre Sphäre. Wissen und Intelligenz sind schlaffe Schwimmgürtel im Vergleich zu den seherischen Gaben.

Die Ideen sind ein dünnes Gas, das keine Spannung hat. Wenn die seherische Gabe verlöscht, tauchen die Ideen auf und mit ihnen der blinde Fisch in diesem Gewässer: der Intellektuelle.“

Beispielsweise Michel Tapié 1951: „Die Form scheint schon allzu lange alle Hoffnung für die Zukunft aufgegeben zu haben, da sie so unauflöslich an das Schicksal des Formalismus gekettet ist. Das Leben ist ihr fremd geworden . . . die Maler, denen eine Technik, die sich in immer neuen Erprobungen unendlich abwandeln läßt, offenbar die Freiheit dazu gibt, verzichten bewußt auf die Form, malen in einer Formlosigkeit, die dem gewohnten formalen Imperativ mit der gleichgültigsten Lässigkeit und der fruchtbarsten Anarchie begegnet. Die abendländische Tradition entdeckt endlich das Zeichen und explodiert in der Vehemenz einer transzendentalen Kalligraphie, einer vom erbarmungslosen Schwindelgefühl des reinen Werdens berauschten Hypersignifikanz.“

Und als für heute letztes Großmaul der Großvätergeneration lassen wir den Superstar seiner Zeit im Dorf der Kunst eine Ausstellung mit Kinderzeichnungen besuchen und zitieren Pablo Picasso mit seinen Worten: „Als ich im Alter dieser Kinder war, konnte ich zeichnen wie Raffael; aber ich brauchte ein Leben lang, um zeichnen zu lernen wie sie.“

Solche Worte prägen sich in das kommunikative Gedächtnis ein. Und sie zeigen zuweilen in der Enkelgeneration Wirkungen, die wie ein Fluch über ihrem Dasein liegen.

Aber vergessen wir nicht: wovon ich hier rede, ist ja nur ein ungeschriebenes Buch und die beiden Künstler werden von Ihnen, so Sie dieses Buch schreiben wollen, schamlos ausgebeutet. Allerdings darf ich Ihnen für diesen Fall noch eine kleine Recherche anempfehlen. Sie sollten Karoly Klimo und Franz Blaas danach fragen, ob sie mit der Auswahl ihrer Großväter einverstanden sind, ob andere Gestalten aus dem Pandämonium der jüngeren oder älteren Kunstgeschichte passgenauer wären. Und Sie sollten Franz Blaas, so Sie ihn noch nicht kennenlernen durften, nach seiner Großmutter fragen. Vielleicht gehen Sie dann – nach einem hoffentlich inspirierenden Abend – mit einem Buch nach Hause, das Sie nicht erst schreiben müssen.
 
Johann Berger

E: johannberger@chello.at
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