Galerie Nova Sin, Prag

Ausstellungseröffnung

Zugespitzt und Aufgerundet

Evelin Schmidt und Udo Hohenberger

Johann Berger, 2008

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

herzlichen Dank für die so erfreuliche Herausforderung, Sie auf dem Weg zu den ausgestellten Arbeiten von Evelin Schmidt und Udo Hohenberger mit einigen Worten begleiten zu dürfen. Ich werde versuchen, dieser Übung in zwanzig Schritten zu entsprechen.

Eins: Evelin Schmidt und Udo Hohenberger haben biographische Gemeinsamkeiten. Beide kommen aus Kärnten, aus jenem Bundesland Österreichs in dem künstlerischen Anstrengungen noch die Ehre des Skandals oder wenigstens des Eklats erwiesen wird, wie jüngst, als Günter Brus diese öffentliche Aufmerksamkeit zuteil geworden ist. Beide Künstler haben ihre künstlerische Ausbildung in Wien erfahren und stellen nun erstmals gemeinsam aus.

Zwei: Damit ist der Galerie zu danken, denn die Adresse in Prag ist wohl der beste Ort, um jenes hermetisch anmutende Wechselspiel von oben und unten, innen und außen zu positionieren, das uns Evelin Schmidt anempfiehlt.

Drei: Es geht in diesem hier ausgestellten Objekt wohl zuerst um jenen charmanten Effekt, der unter dem vermeintlichen Chaos über der Oberfläche eine Matrix simpelsten Regelmaßes enthüllt. Es bedarf nur einer geringen Geste, und schon ist das Unten mit seinem einfachen Wirkmuster augenscheinlich geworden. Das Durcheinander oben kommt nur zustande, weil wir wegen der Verwerfungen die gleichsam exerzierenden Dinge in ihrem Ordnungsgefüge kaum wahrzunehmen in der Lage sind.

Vier: Evelin Schmidt verwendet für ihre Installation vorgefertigtes Material. Die Holzstäbe sind üblicherweise der Kunst peristaltischer Weltaneignung gewidmet. Aus der Sicht mitteleuropäischer Gewohnheiten sind es unpraktische Werkzeuge, sie erfordern Geschicklichkeiten, die in der böhmischen Küche nicht beheimatet sind. Sie wären den meisten unserer Großeltern fremd gewesen. Die haben wohl, sei es in Kärnten, Wien oder Prag, selten mit Sushis zu tun gehabt. Die Aura des Exotischen hat das Requisit in den vergangenen vierzig Jahren wohl eingebüßt, die Globalisierung hat uns den Geschmack der babylonischen Sprachverwirrung in der Gestalt hybrider Kulinaria nahegebracht.

Fünf: die geprägte Folie wie sie Evelin Schmidt hier verwendet, dient als Baumaterial zur Isolation. Hierher, in diese Installation ist das Hilfsmittel für die komfortable Behausung in Zeiten sich wandelnder klimatischer Umweltbedingungen wegen seiner Prägung geraten. Es ist also typisch im ursprünglichen Sinn des Wortes: typos heißt der Eindruck. Aber auch der Schlag, die Form, das Mal.

Sechs: Sie bemerken es, die Bildsprache verweist uns auf das, was in der gesprochenen und geschriebenen Sprache unser Herkommen zu benennen vermag. Die Behausung, die Prägung, das, was uns zu dem gemacht hat, was uns erkennbar werden läßt. Und seien es die schicksalhaften und prägenden Schläge, die uns dort heimsuchen, wo wir uns beheimatet fühlen. Zuweilen gehorcht dieses Geschehen unter der Oberfläche turbulenten Treibens Gesetzen von grausamer Einfalt. Wer will, kann sie bei Machiavelli, Freud und Kohout nachlesen.

Sieben: Udo Hohenberger führt uns zurück zum Tafelbild, das Evelin Schmidt mit ihrer Installation verlassen hat. Seine Grenzüberschreitung ereignet sich in der Bildfläche und nimmt ein Thema auf, das die Moderne seit ihren Ursprüngen begleitet: die Dimension der Zeit und ihre Projektion in die Bildfläche.

Acht: Es gehört Mut dazu, sich nach Duchamp und den Kubisten, auch nach den Paraphrasierungen ihrer Kunst beispielsweise durch Gerhard Richter, der ja auch wie Duchamp einen Akt die Treppe herabsteigen hat lassen, es ist mutig, sich auf dem Spielfeld der Kunst mit den Großen der Moderne und der Postmoderne zu messen.

Neun: Udo Hohenberger geht als virtuoser Zeichner in diese Herausforderung. Auch wenn seine Kompositionen auf den ersten Blick dem Informel nahe zu stehen scheinen, zeigen sie noch immer Elemente aus dem Studium des menschlichen Körpers. Oft legt er mehrere Perspektiven oder Bewegungszustände übereinander, manchmal übermalt er Teile. In der Übermalung büßt gelegentlich die wasserlösliche Linie ihre Kontur ein, sie ergießt sich in die Fläche.

Zehn: Udo Hohenberger überläßt dann die Autorität der Gestaltung scheinbar dem Material. Die eben noch präzise definierte Gestalt verliert ihre Form, sei es durch die zerfließende Linie, sei es durch die Übermalung oder Überlagerung. Die strenge Disziplin des Aktzeichnens erscheint so wie ein Vorwand, über den es hinauszugehen gilt. Hohenberger verwendet diese Disziplin, um durch sie – auf ihr – über sie hinauszusteigen. Er muß, frei nach Wittgenstein, den Akt überwinden, um . . . Ja, was, – um die Welt richtig zu lesen? Möge mir der Philosoph den Mißbrauch seines Tractatus Logico-Philosophicus verzeihen.

Elf: In seinem Tractat geht es darum, die Sätze zu überwinden, um dann die Welt richtig zu sehen. Die Welt wie ein Buch zu lesen, war hingegen eine Übung der Alchemisten beispielsweise in der Zeit und am Hof Rudolfs II. Diese Form von Literalität begegnet uns am Beginn der experimentellen Naturwissenschaft, die sich noch als Kunst versteht und die gesamte Lebensfülle als Gegenstand ihrer Anstrengung wahrnimmt.

Zwölf: Das Diktum des Joseph Beuys, wonach Kunst nicht als Privileg weniger zu gelten habe, sondern als soziale Plastik die gesamte Fülle des Lebens inspireierte, „Jeder Mensch ist ein Künstler“ klingt vor etwa vierzig Jahren wie ein Echo aus dem spätmittelalterlichen Prag, während seine Formel Kunst=Kapital gelegentlich die Basis zukunftsweisender und schöner Mißverständnisse darstellt. Zumal, wenn Konzerne und Banken als Investoren im Kunstmarkt auftreten und damit die Formel umschreiben in Kunst=Spekulation.

Dreizehn: Das Werkzeug des Kunstinvestors ist das Ranking. Es ist als finanztechnisches Wertesurrogat nicht zuletzt ein Ausdruck gierigen Herdentriebes. Oder anders gesagt, das Ranking sorgt im Kunstmarkt für realpolitische Fakten und bedient in diesem Ränkespiel die Strategen zeitgenössischen Machiavellismus.

Vierzehn: Bislang sind mir die Namen von Evelin Schmidt und Udo Hohenberger in den handelsüblichen Rankings nicht aufgefallen. Ich meine, das spricht nicht gegen die beiden. Im Gegenteil!

Fünfzehn: Wie sehr das Kunstgeschehen und die Finanzwelt miteinander verbunden sind, zeigt eine einfache Übung. Wer die Umsätze der großen Auktionshäuser als Kurve darstellt und über die Kurven der Börsenindizes legt, wird von den Parallelverläufen verblüfft sein.

Sechzehn: Nachdem die Alchemisten der Subprime-Branche als Scharlatane entlarvt sind, und die Finanzmärkte der Weltwirtschaft in eine veritable Krise vorauszueilen scheinen, kommt die uneingeschränkte Freiheit der Märkte ins Gerede. Ein ehemaliger Finanzminister spricht von Privatisierungswahn, von Marktreligiosität und Vulgärliberalismus.

Siebzehn: Mehr Staat statt Privat? Für jemanden, der unter dem entfesselten Leviathan totalitärer Macht zu leiden hatte, wird auch das wohl wie eine Drohung klingen.

Im achtzehnten Schritt dämmert uns eine Ahnung, dass da irgendwo ein Hund begraben sein könnte.

Das führt zu Schritt neunzehn: Die Spekulanten haben die Welt nur verkauft. Es kommt aber darauf an, sie hervorzubringen. In Worten, in Bildern und vor allem im Tun.

Wer weiß. Vielleicht wollen uns Evelin Schmidt und Udo Hohenberger darauf hinweisen.

Zwanzig: Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Johann Berger

E: johannberger@chello.at
T: 0043-676-416-06-20