Galerie Ruth Maier, Wien

Ausstellungseröffnung

Lubomir Hnatovič

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Johann Berger, 2003

 

Was für ein Platz für eine Ausstellung! Auf diesem Berg hatten die türkischen Belagerer ihr Heerlager errichtet. Wir sind auf einer Anhöhe, etwa so weit über dem Wiental wie die Kuppel der Karlskirche, in der zurzeit das Fresko Rottmeyrs (1725-1730) renoviert wird. Und doch sind wir schon im unterirdischen Bereich, an der Schwelle zu jenem Labyrinth aus Kellern und Gängen, das wie ein gebautes Geheimnis der Stadt als vielgeschoßiges Fundament dient. Wir begegnen den Arbeiten von Lubomir Hnatovic auf der Höhe des gegenreformatorischen Himmels und befinden uns dabei schon fast unter der Erde. „Neue Arbeiten“ zeigt er uns an diesem symbolträchtigen Ort und setzt den lapidaren Titel dieser Ausstellung unter Anführungszeichen, als ob er augenzwinkernd auf den Marktplatz des Kunstbetriebes verweisen wollte, wo „Neues“, was immer damit gemeint sei, sein Äquivalent in Geld zu bemessen sucht. Um neu zu sein, müßten seine Stillleben fast 500 Jahre alt sein, Zeitgenossen eines Jan Gossaert, des Avantgardisten im ikonographischen Terrain des memento mori. Um modische Aktualität zu beweisen müßten sie aus der Mitte des 17. Jahrhunderts kommen, als das Vanitas-Thema Hochkonjunktur hatte. Antonio de Peredas Allegorie der Vergänglichkeit (um 1640) im Wiener Kunsthistorischen Museum sei in diesem Zusammenhang und stellvertretend für das Genre Ihrer Aufmerksamkeit anempfohlen. Was, Lubomir, ist neu an diesen Bildern?

In der Tat: es ist keine schwierige Übung, sich den Künstler in barocker Umgebung vorzustellen. Sein Handwerk ist das der alten Meister. Er kann begeistert über die Qualität selbst angesetzter Tempera erzählen. Und er beherrscht sein Handwerk mehr als ausreichend, um das Auge zu täuschen. Diderot hätte seine Freude daran gehabt.

„Das ist wahrhaftig ein Maler! Das ist ein Kolorist!“, schwärmt Diderot 1765 über die im Salon ausgestellten Stillleben Jean-Baptiste Siméon Chardins.„Sie stellen fast alle irgendwelche Früchte mit dem Zubehör eines Mahles dar. Das ist die Natur selbst. Die Gegenstände treten aus der Leinwand hervor und haben eine Wahrheit, die die Augen täuscht. (…) Dieser Mann versteht die Harmonie der Farben und der Reflexe. O Chardin, das ist nicht weiße, rote und schwarze Farbe, die du auf deiner Palette zerreibst; das ist die eigentliche Substanz der Gegenstände, das ist die Luft und das Licht, die du mit der Spitze deines Pinsels nimmst und auf die Leinwand überträgst.“

Diderot erliegt emphatisch jener Fähigkeit der Naturnachahmung, auf die Wollen und Sollen der Kunstproduktion so oft heruntergebrochen wurde und wird. Es ist überraschend, daß eine Heldengestalt aufklärerischer Vernunft wie es Diderot sicher war, in seiner Begeisterung am Glanz souveränen Handwerkes kleben bleibt und daß er es verabsäumt, hinter dem verblüffenden Kunststück die alten Themata der Kunst wahrzunehmen, die Fragen nach dem Woher und dem Wohin der irdischen Existenz und nach der Wahrheit in der Kunst.

Lubomir Hnatovic zeigt uns, er könnte uns täuschen wie Chardin Diderot getäuscht hat. Er weist uns mit einfachen Hilfestellungen darauf hin, daß es ihm nicht um diese Täuschung geht. Vielleicht hat er von unserer, des Publikums Einfalt gelernt, das seit Diderots Zeiten nichts dazugelernt hat und sich so gerne an Sensationen, sei es an den stillen Sensationen der Naturnachahmung oder der lauten des Skandales – etwa angesichts der Banalität eines Plastillinschwanzes – entlarvt. Es geht ihm auch nicht um den Skandal, so sehr ich ihm einen saftigen Aufruhr wünschen würde, nichts kurbelt das Geschäft besser an, als das Gezeter des Boulvards. Wer also in den Menschenknäuel seiner Bilder auf den Karneval der Begierden trifft, möge sich möglichst öffentlich empören und damit Reklame machen für diese Ausstellung. Wir blieben mit dieser Empörung jedoch der Oberfläche des Sujets zu sehr verbunden. Seien wir uns des Ortes an der Grenze zwischen Ober- und Unterwelt der Stadt bewußt und gehen wir der Metapher nach.

„Grausamkeit und Wollust fließen ineinander. Man schwelgt in Blutszenen, Martern und Wunden, man verherrlicht die Süße des Schmerzes. Schließlich vereinigen sich Erotik, Algolagnie und Sehnsucht nach dem Übernatürlichen zu jener bizarren Mischung, deren überwältigendster Ausdruck Berninis Heilige Theresa ist, ein Werk, das zugleich ewig denkwürdig bleiben wird durch die sublime Kunst der raffiniertesten Illusionswirkung, wie sie sonst nur die Bühne erreicht. Es ist ganz ohne Zweifel eine tief religiöse Konzeption; und doch spürt man überall, in der Gesamtkomposition wie im Arrangement jeder Einzelheit, geheime Schminke und Rampe. Aber warum sollten Theater und Religion völlig unvereinbare Gegensätze sein? Ist denn das Theater für alle, die ihm ernst und leidenschaftlich dienen, eine Art Religion und ist die Religion in ihrem sinnfälligem Kultus nicht eine Art Theatrum Dei, eine Schaustellung der Größe Gottes?“

Egon Friedells Befund barocker Kunst, 1928 veröffentlicht, ist unschwer auf die bildende Kunst österreichischer Provenienz projezierbar. Nehmen sie das Theatralische und die Ingredienzien bizarrer Sexualität und sie haben die Wiener Ausprägung performativer Kunst vor Augen, samt den inszenierten Künstlerpersönlichkeiten und dem barocken Habitus der auch folgerichtig so genannten Malerfürsten. Makart und Klimt, Boeckl und Kokoschka, wohl auch mancher Repräsentant der Gegenwartskunst mögen der Tradition dieses Habitus nahegekommen sein.

„Tradition kommt von tradere, weitergeben“, gibt Theodor W. Adorno (an dessen 100. Geburtstag in genau einer Woche erinnert sei) 1967 zu bedenken. „Gedacht ist an den Generationenzusammenhang, an das, was von Glied zu Glied sich vererbt; wohl auch an handwerkliche Überlieferung. Im Bild des Weitergebens wird leibhafte Nähe, Unmittelbarkeit ausgedrückt, eine Hand soll es von der anderen empfangen. Solche Unmittelbarkeit ist die mehr oder minder naturwüchsiger Verhältnisse etwa familialer Art. Die Kategorie Tradition ist wesentlich feudal, so wie Sombart die feudale Wirtschaft traditionalistisch nannte. Tradition steht im Widerspruch zur Rationalität, obwohl diese in jener sich bildete. Nicht Bewußtsein ist ihr Medium, sondern vorgegebene, unreflektierte Verbindlichkeit sozialer Formen, die Gegenwart des Vergangenen…“

Wenn Lubomir Hnatovic auf das barocke Stilleben zurückgreift, wenn er in seinen Arbeiten den Höllensturz aus der Sixtinischen Kapelle oder Elemente aus Rodins Höllentor (1880-1917) aufgreift, so stellt er sich nicht in eine Tradition, also in einen Kanon unreflektierter Verbindlichkeiten. Er täuscht uns auch diesbezüglich nicht. Wenn er sich auf den Fundus der Geschichte bezieht, dann liegt in dieser Referenz eine Ahnung, vielleicht auch eine Gewißheit über die Brüche in der Geistesgeschichte des vergangenen Jahrhunderts – nicht zuletzt sei an das Andorno’sche Diktum erinnert, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, sei barbarisch. (Theodor W. Adorno: Kulturkritik und Gesellschaft, 1949) So gerät ihm das Memento Mori zu einem Zitat, das in der Sprache der Gegenwart zu uns kommt. „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ antwortete Paul Celan seinerzeit Adorno. Die Frage, die Lubomir Hnatovic aufwirft und die er uns auf den Weg mitgibt, mag lauten: Wo hat der Meister aus Deutschland in unseren Tagen seine Heimat gefunden? Ground zero? Ruanda? Bagdad?

Die barocke Gegenwart unserer Tage erscheint mit Aids, Terror und der Globalisierung wie ein fernes Echo auf die Pest, Kara Mustafa und den dreißigjährigen Krieg.

Nun muß die Begegnung mit dem Barock durchaus nicht jene bugomilische Schwermut haben, die ich – so fürchte ich – herbeigeredet habe. Deshalb lasse ich mir schlußendlich von einem helfen, der angesichts einer barock anmutenden Allegorie scheitert.

Robert Gernhardt:

Deutung eines allegorischen Gemäldes

Fünf Männer seh ich
inhaltsschwer –
wer sind die fünf?
Wofür steht wer?
Des ersten Wams strahlt
blutigrot –
das ist der Tod
das ist der Tod.
Der zweite hält die
Geißel fest –
das ist die Pest
das ist die Pest.
Der dritte sitzt in
grauem Kleid –
das ist das Leid
das ist das Leid.
Des vierten Schild trieft
giftignaß –
das ist der Haß
das ist der Haß.
Der fünfte bringt stumm
Wein herein –
das wird der
Weinreinbringer sein.

Johann Berger

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