Zu Bernd Faschings Plastik des Namenspatrons von Sveti Ivan od Šterne, San Giovanni della Cisterna
Etwa 16 Kilometer Luftlinie liegen zwischen den archäologischen Fundstellen Qumrans und jener Stelle im Fluß des Jordan-Tals, von der vermutet wird, daß Johannes der Täufer hier gewirkt hat1. Eine ähnliche Distanz, diesmal nicht in nordöstlicher Richtung sondern nach Osten weist von der Euphrasius-Basilika in Porec auf Sveti Ivan od Šterne, San Giovanni della Cisterna, auf jenen Ort also, wo eine Plastik von Bernd Fasching die Gestalt des Täufers thematisiert.
Die banale Ähnlichkeit der beiden Entfernungen birgt einen Charme, dem wir hier mit asketischer Genügsamkeit zu begegnen haben. So wollen wir der Versuchung widerstehen, hier die Forschungsbefunde zu den rituellen Reinigungsbädern der Essener in Qumran2 zu würdigen oder die dafür angelegten Becken auf allfällige Ähnlichkeiten mit dem Taufbecken in Porec hin zu untersuchen3. Bescheiden wir uns also mit dem Hinweis auf die theologischen Differenzen, die den Taufritus im fließenden Gewässer des Jordan (der als symbolischer Ort der Überlieferung zusätzlich Bedeutung generiert), vom religiösen Wirkungszusammenhang unterscheiden, in dem die Zisternen der Traditionalisten Qumrans zu interpretieren wäre4. Und damit auch dem Hinweis auf die Vielfalt religiöser Strömungen im antiken Judentum dieser Zeit. Denn die Differenzierungen, wie sie bei den Pharisäern, den Sadduzäern und den Essenern in Bezug auf die rituellen Reinigungen wahrzunehmen wären, ergäben wohl ein spannungsreiches Bild jener Zeit, in welcher das Taufritual seinen Ursprung hat5.
Der Konjunktiv verweist auf Diskurse an anderem Ort. Die Ambivalenz einer geographischen, historischen und vielleicht spirituellen Nähe oder Distanz, das mag weiterführenden Überlegungen vorbehalten bleiben, um nun auf jenen Ort hinzuweisen, dessen Koordinaten mit 45.2322 Breite und 13.7658 Länge auf einer Seehöhe von 299 Metern definiert sind6. Dort also ist die Position der Plastik von Bernd Fasching.
Die abendländische Ikonographie weist der Gestalt des Täufers ein Repertoire an Kennzeichen zu: das Lamm, die auf das Lamm verweisende rechte Hand, Stab, Wassergefäß (Schale, Muschel, Krug), Buch, Leibrock (Kamelhaar) und Mantel, meist unbeschuht, mit ungepflegtem Bart und Haupthaar; die Sujets der Deesis (Johannes und Maria als Fürbitter bei Christus), der Kindheitsszenen (mit dem Christuskind spielend) und der „Johannesschüssel“ (das präsentierte abgeschlagene Haupt) variieren meist Elemente aus diesem Repertoir7.
Bernd Fasching durchbricht mit seiner Interpretation den Kanon der traditionellen Darstellungen für das sakrale Setting. Die schreitende, in großer Geste nach oben weisende Gestalt entzieht sich in dieser, hier gewählten Form den gewohnten ikonographischen Zuordnungen, steigt gleichsam über die historischen Konventionen hinweg. Bernd Fasching bietet mit seiner Plastik und dem für diese Arbeit geschaffenen architektonischen Umfeld Raum für eine neue und individuelle Interpretation des traditionellen Topos. Gleichzeitig lenkt er so die Aufmerksamkeit auf jene Facetten der biblischen Gestalt, die in den traditionellen Fassungen kaum Berücksichtigung finden.
Der expressive Gestus des weisenden und dabei schreitenden Menschen zeigt Johannes in einem den Zeitgenossen zugewandten, prophetischen Habitus. Wenn er den Schritt in der horizontalen Raumachse mit der vertikalen Geste zeichenhaft verbindet, zitiert er in der Gestalt des Propheten die Raumdimensionen der Kreuzform. Die gesamte Gestalt wird so zum Hinweis auf den kommenden Messias.
Im horizontal gerichteten Schreiten mag – neben dem paraphrasierenden Zitat des Rodin’schen Johannes aus dem Jahr 1878 – auch ein Verweis auf jene Textpassagen der Schrift zu sehen sein, wo von den Wegen die Rede ist, die dem Herrn zu bereiten sind. Oder auf jene gerichtete Bewegung, die den Propheten aus der Wüste zum Jordan führt8. Oder – in Verbindung mit dem (vertikalen) Verweis auf ein nahendes Himmelreich – auf jene Umkehrbewegung, die im Begriff der Buße anklingt und die mit dem Taufritual im Jordan ihren Wendepunkt erhält9.
Die nahe Kirche aus dem 16. Jahrhundert ist dem Heiligen geweiht und gibt dem Ort den Namen Sveti Ivan od Šterne bzw. San Giovanni della Cisterna. Die Ortsbezeichnung in zwei Sprachen ist als unaufgeregt gepflegter Usus der Region Ausdruck und Resultat einer bewegten Geschichte. Die Halbinsel diente den Zeitläuften als Adresse, seit die mythischen Erzählungen der Antike hier den Eingang zur Unterwelt wahrnehmen wollten10. Dass im Jahr 2008 mit der Plastik einer Johannesfigur ein Hinweis auf den Ursprung der abendländischen Zeitzählung Platz bekommt, ist vor dem Hintergrund der jüngeren Zeitgeschichte bemerkenswert. Denn die Erinnerungspotenziale erlebter und erlittener Geschichte formt – wollen wir Halbwachs und Assmann in diesem Gedanken folgen – ein „kommunikatives Gedächtnis“, das etwa drei Generationen umfassend, nicht nur wirkmächtige Erzählungen hervorbringt, sondern darüber hinaus das kulturelle und politische Leben prägt11.
Dass in diesem Jahr also eine Erzählung thematisiert werden soll, die an den Wendepunkt der er- und gezählten Zeit erinnert, ist vielleicht auch deshalb bemerkenswert, weil damit zwei „Globalisierungen“ miteinander in Beziehung kommen: jene der römisch-hellenistischen Welt und jene zeitgenössische mit ihren Kommunikationstechnologien und ihrem Waren- und Finanzverkehr, in der das Staatengefüge der Alten Welt in einem sich neu konstituierenden Europa um seine Verfassung und seine Identität ringt. Die CEE-Staaten (ein Terminus, der die aus dem „real existierenden Sozialismus“ hervorgegangenen Gesellschaften als Investitions- und Wachstumsmärkte mit attraktiven Renditen wahrnimmt) sind in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung, verlaufen doch durch die historischen Landkarten und durch die Biographien der hier lebenden Menschen Grenzlinien als Verwerfungen, die über das „kommunikative Gedächtnis“ hinaus wirkmächtige Potenziale aus der weiter zurückliegenden Vergangenheit freizusetzen in der Lage sind. Die brisante Allianz aus Opfermythen und Rachebedürfnis begleitet die Geschichte wohl nicht nur des Abendlandes und der umgebenden Regionen als generationenübergreifende Herausforderung. Die Instrumentalisierbarkeit dieser emotionalen Ökonomie identitätsstiftender Nutzenmaximierung auf Kosten der jeweils anderen hat jedoch wie kaum ein anderes Beispiel aus der jüngeren Zeitgeschichte die Nachbarschaft Istriens und ganz Europa beschämt12.
Ein Verweis auf die römisch-hellenistische Welt vermag allenfalls, den Erinnerungsbogen über diese erinnerten und archivierten Utensilien der Identitätsstiftung zu übersteigen, ohne ein Vergessen einzufordern, das Erlittenes verdrängen soll. Vielleicht hat im Habitus des von Bernd Fasching in die Landschaft Istriens gesetzten Johannes dieser Schritt seine Form gefunden. Und vielleicht ist in diesem Schritt die wesentliche Botschaft aus der aramäischen Erzählung vom taufenden Johannes verborgen. Denn was als „Buße“ übersetzt, mit dem Wirken dieser Gestalt verbunden ist, dem hat in der Philosophensprache der antiken Welt, dem Griechischen, der Begriff der „metanoia“ entsprochen: sozusagen ein Richtungswechsel in den Gedanken; im hebräischen „schub“ eine die gesamte Existenz ergreifende Abkehr von dem, was als böse bezeichnet wird. Der im sowjetischen Realsozialismus aufgewachsene Philosoph Boris Groys bietet für das Terrain der Kunst ein asketisches Metanoia-Modell an: „Die Metanoia führt zu einem Verzicht – nämlich den Verzicht, immer weiter das gleiche zu tun, immer weiter den gleichen Weg zu verfolgen…“13. Es wäre das eine Askese, von der wir hoffen wollen, dass sie in ihrem innovativen Geist über die Kunst hinaus dem ganzen Europa gut tun könnte. Und vielleicht kann ein erster Schritt in diese neue alte Welt, in der die Realpolitik aus den Fesseln der Gewinn-, der Eifer- und der Rachsucht befreit sein möge, von Sveti Ivan od Šterne bzw. San Giovanni della Cisterna aus erfolgen. Es liegt an uns.
1) Die hier genannten Distanzen folgen den Ausführungen Stegemanns, der die Taufstelle am Ostufer des Jordan, unweit einer historischen Handelsstraße lokalisiert (Stegemann, S. 294)
2) Rituelle Bäder haben als Bestandteil der jüdischen Frömmigkeit im Leben nach den Reinheitsgeboten einen Bedeutungszusammenhang, der in der Wirkungszeit des Johannes von Endzeiterwartungen geprägt war. Danach konnte nur ein Leben nach diesen Geboten (die ein über die rituellen Bäder weit hinaus reichendes Regelwerk darstellen) in einem knapp bevorstehenden göttlichen Endgericht mit apokalyptischer Dimension Erlösung garantieren.
3) Bei der Frage nach den Ähnlichkeiten wäre neben den formalen und gestalterischen Kategorien auch die Unterschiede oder Vergleichbarkeiten in den Verwendungen der Becken aus der hellenistischen Antike bzw. des byzantinisch geprägten Mittelmeerraumes zu berücksichtigen. Vgl. dazu:
Peter Gerlitz, Udo Schnelle, Edward J. Yarnold, Jörg Ulrich u.a.:
Taufe I. Religionsgeschichtlich II. Neues Testament III. Alte Kirche IV. Mittelalter V. Reformationszeit VI. Neuzeit VII. Dogmatisch und ethisch VIII. Praktisch-theologisch. In: Theologische Realenzyklopädie 32 (2001), S. 659-741
4) Stegemann, S. 63 ff., S. 292 ff.
5) Der Vielfalt religiöser Strömungen im Judentum am Beginn der neutestamentarischen Zeitgeschichte entsprechen wohl unterschiedliche Distanzen oder Annäherungen an den Hellenismus als prägende Kultur. Die oppositionelle Haltung gegenüber der politischen und kulturellen Vereinnahmung erscheint in diesem Zusammenhang als Gemeinsamkeit, welche bei der Essener-Gemeinschaft, bei Johannes dem Täufer und Jesus – insbesondere in seiner Herkunft „von Nazareth“ – deutlich wird. So weist Stegemann (S. 303) auf diesen Kulturkonflikt hin, wenn „zeitgenössische Juden den Johannes und seine Anhänger etwas spöttisch »die Bewahrer« genannt (haben), aramäisch nazrén oder – mit Artikel – nazrájja, in griechischer Wiedergabe nazarenoi bzw. nazoraioi.“
6) http://www.fallingrain.com/world/HR/4/Sveti_Ivan3.html
7) Die Aufzählung der Attribute folgt der Beschreibung bei Otto Wimmer, S. 172 ff
8) In der Übersetzung Luthers heißt es im Matthäus-Evangelium:
1 Zu der Zeit kam Johannes der Täufer und predigte in der Wüste von Judäa 2 und sprach: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen! 3 Denn dieser ist’s, von dem der Prophet Jesaja gesprochen und gesagt hat (Jesaja 40,3): »Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg und macht eben seine Steige!«
http://www.bibleserver.com/
Der Ort am Jordan hat nach Stegemann Bedeutungstangenten in die Geschichte des Volkes Israel: „… Johannes hatte als Ort seines öffentlichen Auftretens genau jene Stelle gegenüber von Jericho gewählt, wo einst Josua das Volk Israel durch den Jordan hindurch in das Heilige Land hineingeführt hat (Jos 4, 13.19). Die Wahl des Ostufers des Jordans als Wirkungsstätte entsprach dabei der einstigen Situation Israels vor dem Durchschreiten des Flusses. Das Auftreten des Täufers analogisierte also das Dasein Israels nach dem Auszug aus Ägypten »in die Wüste« vor dem Einzug in das gelobte Land, in dem erst künftig alles Wirklichkeit werden sollte, was Gott seinem erwählten Volk bereits durch Mose auf dem Sinai verheißen hatte.“ (Stegemann, S. 296)
9) Der Bußbegriff, wie ihn die Luther’sche Übersetzung (z.B. Lk 3, 8 »Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße«) verwendet, steht an der Stelle der lateinischen Poenitentia (Vulgata: »facite ergo fructus dignos paenitentiae«) – was auf „poena“, Strafe zurückgeht und den Begriff in seinem Alltagsverständnis wohl am nachhaltigsten geprägt hat, bzw. der griechischen Metanoia – was mit „noein“, denken auf ein Umdenken verweist und des hebräischen Schub, das eine existentielle, die gesamte Persönlichkeit umfassende Dimension anspricht. Insbesondere mit dem Begriff der Metanoia ist in der Septuaginta ein Terminus gewählt, der mit dem Bedeutungshintergrund aus der griechischen Philosopie kaum eine Entsprechung in der strafbezogenen Poenitentia finden wird.
10) Die Topographie der Ilias eignet sich vortrefflich für Identifikations- und tourismustaugliche Marketingstrategien. So verwundert es nicht, dass das von Odysseus frequentierte chthonische Entree an einigen – und weit voneinander entfernten – Orten vermutet wird. So konkurrieren die Karsthöhlen Istriens mit jenen in der westlichen Türkei (immerhin sieht sich die Stadt Izmir, das antike Smyrna, als Homers Geburtsort), entbehren jedoch einer mit Troja vergleichbaren mythologischen Prominenz.
11) Jan Assmann bezieht sich in seiner Theorie des kulturellen Gedächtnisses auf den französischen Soziologen und Philosophen Maurice Halbwachs (1877 bis 1945): „In seinen Büchern über die sozialen Rahmen des Gedächtnisses und das kollektive Gedächtnis hat er die These aufgestellt, daß unser Gedächtnis sich nur im Umgang mit anderen entwickelt. Von dieser sozialen Basis des Gedächtnisses möchte ich ausgehen, um dann noch einen Schritt darüber hinauszugehen und eine kulturelle Basis zu postulieren, denn erst damit verstehen wir die Jahrtausende umfassende Zeittiefe, in der sich der Mensch als ein Gedächtnis-Wesen verankert.“ (S. 11)
12) Der Soziologe Michael Daxner, der für die Übergangsverwaltungsmission der Vereinten Nationen im Kosovo von 2000 bis 2002 als Principal International Officer für den Aufbau des Bildungswesens tätig war, hat in dieser Zeit ein Tagebuch geführt, in dem er den zermürbenden Arbeitsalltag unter den Bedingungen nach dem Krieg beschreibt und als Resumee dieser Anstrengungen u.a. schreibt:
„Das nächste Mal sollten Multikultur, Demokratie und Marktwirtschaft ein wenig hintanstehen, wenn es um republikanisches Selbstverständnis, um den Abbau von Geschichte und kollektiven Bewusstseinstraumata und die Entlastung der Bürgerinnen geht. Das erscheint mir besonders wichtig: schwer beschädigte Menschen können von unserer ständig reparaturoffenen Demokratie nicht so viel lernen, wie sie zugleich durch unsre Anwesenheit und Macht an Selbstsicherheit und Autonomie verlieren. Da wir aber – Interventionen legitimiert vorausgesetzt – kommen und machtvoll dableiben, werden wir so viel von den fremden Umgebungskulturen annehmen müssen wie wir an sie abgeben. Entlasten heißt auch, Institutionen durchzusetzen, in denen Bürgerinnen ihre Interessen kompetent aufgehoben sehen: diese können nur machtvoll eingesetzt und erst an die Eigentümer übergeben werden, wenn diese auch die entsprechende Bildung und Kritik dafür übernommen haben.“ (S. 284)
13) Boris Groys, S. 80 ff
Literatur
Jan Assmann
Religion und kulturelles Gedächtnis
Verlag C.H. Beck oHG, München 2000
Klaus Berger
Qumran. Funde – Texte – Geschichte
Philipp Reclam jun. GmbH & Co, Stuttgart, 1998
Michael Daxner
Ohne Alternative? Mein Bericht vom Planeten Kosovo
Oldenburg : Bibliotheks- und Informationssystem der Univ., 2004
ISBN 3-8142-0926-5
Boris Groys
Die Philosophenherrschaft: Verwaltung der Metanoia, in: Das kommunistische Postskriptum, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006.
Gerhard Müller, Horst Balz, Gerhard Krause (Herausgeber)
Theologische Realenzyklopädie
36 Bände. De Gruyter, Berlin 1976–2004
Hartmut Stegemann
Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus
Verlag Herder im Breisgau 1993, Neuauflage mit einem Nachwort von Gert Jeremias, 2007
Otto Wimmer
Kennzeichen und Attribute der Heiligen
Tyrolia-Verlag, Innsbruck-Wien,1993
E: johannberger@chello.at
T: 0043-676-416-06-20