Sehr geehrte Damen und Herren!
Über bildende Kunst zu reden kommt einer Anmaßung gleich. Denn was aus der Hand des Künstlers kommend für uns sichtbar wird, gerät beim Redner in die Apparate der visuellen Wahrnehmung und bewirkt in den Archiven der Sprachmächtigkeit eine Erregung, die dann den bemitleidenswerten Vernissagenbesuchern in Form der Eröffnungsansprache auf zweifache Art im Weg ist. Erstens steht der Redner meistens zwischen den Kunstinteressierten und der Kunst, vorgeblich um zu vermitteln, de facto als Hindernis für die sinnliche Begegnung mit den Bildern. Zweitens ertönt der erlösende Satz, mit dem das Buffet eröffnet wird, erst nach den erläuternden Ausführungen, die derart ein Hindernis für die sinnlichen Freuden am Buffet darstellen. Roman Haller hat mich also in diese Anmaßung gebeten, vielleicht weil ich Ihnen als stellvertretender Chefredakteur eines Wirtschaftsmagazines glaubwürdig die in der Tat so günstigen Kaufpreise der hier ausgestellten Werke anempfehlen könnte. Das ist ein Konjunktiv, den ich gerne in einen Appelativ überführen werde, dies aber erst ein wenig später einlöse.
Die Anmaßungen, denen die Zunft der schwarzgewandeten Eröffnungsredner nicht entgehen kann, erwachsen aus der Inkompatibilität von Bild und Wort. Um auch nur einigermaßen vernünftig über Kunst reden zu können, muß, was immer wir sehen, für den Sprachgebrauch zubereitet, das heißt in Kategorien eingepasst werden, über deren Verbindlichkeit man sich zu einigen hat. Hier wird es für Außenstehende unterhaltsam, so sie für die Reize der Epistemologie, der Ästhetik oder den vielfältigen Schulen der Kunstwissenschaft empfänglich sind – oder für die Sensationen akademischen Freistilringens á la Realisten gegen Konstruktivisten, Strukturalisten gegen Materialisten usw. (In diesem Zusammenhang empfehle ich Ihnen die Lektüre des kleinen Büchleins mit dem Titel „Künstler beschimpfen Künstler“.)
Oft resultieren solche Streitereien aus einfachen Missverständnissen. Das kommt auch in der Raumfahrt vor, wenn in einer internationalen Kooperation die amerikanischen Techniker in Inch und Zoll rechnen und die Europäer im metrischen System. Dann kommt es zu Abstürzen, weil die unterschiedlich bemaßten Werkstücke nicht zusammenpassen. Das ist in der Weltraumtechnik zugegebenerweise folgenreicher als in der Ausstellungseröffnungsrednerei. Aber vielleicht sind die rhetorischen Abstürze angesichts der Kunst in ihrer Wirkung einfach unterschätzt. Denn der Kunstbetrieb strotzt vor Wortgetöse und die Frage, ob der Diskurs zur Kunst selbst als Kunst bezeichnet werden soll, eröffnet bisweilen Karrieremöglichkeiten in den Museen und Akademien. Sie bemerken, die simple Tatsache, dass wir, um über Kunst reden zu können, ein Verständigungssystem brauchen, hat einen gar nicht so kleinen Wirtschaftszweig hervorgebracht, der sich die Bezeichnung Kunstvermittlung zumutet, in den benachbarten Wissenschaften ist daraus eine für Generationen verbindliche Zeiterscheinung geworden, die als „linguistic turn“ ein passendes Etikett bekommen hat. Und wenn Künstler mit ihrem Werk nicht in die wechselnden Moden der Wortproduktion passen, haben sie ein Problem, das allerdings nicht so spektakulär wie ein explodierendes Raumfahrzeug wahrnehmbar wird. (Die müssen dann Akademieprofessor oder Wirtschaftsmagazinredakteur werden.)
Sie bemerken noch etwas: fast eine ganze Seite Text haben Sie bereits über sich ergehen lassen, und noch kaum ein Wort über die Arbeit von Professor Haller gehört. Pardon, meine Damen und Herren, das natürlich nicht entschuld- aber erklärbar, handelt es sich doch um eine jener Beobachtungen, die ich mit dem Künstler teile, wenn wir nämlich den über die Jahrzehnte wahrnehmbaren Konjunkturaufschwung der Theorie zur Kunst beobachten. Und so ist ein Abend wie der heutige eine Provokation für eine kleine Polemik gegen den Mainstream im Kunstbetrieb. (Übrigens stehen wir damit nicht alleine da, Roman Haller und ich, sondern wissen uns mit dem ehemaligen Rekor und Professor an der Angewandten, Dr. Rudolf Burger einer Meinung, wenngleich dieser dafür viel elegantere Worte gefunden hat, als ich es soeben vermochte.)
Noch ein Gedanke, den ich zu meinen Gunsten vorbringen darf: Die oben zitierten Raumfahrttechniker mit ihren Maßsystemen sind nicht zufällig in diese Rede geraten. Denn die Biographie des Roman Haller verweist uns auf seine technische Ausbildung, die damals den Jüngling von den Zeichentischen der HTL in den Beruf des technischen Zeichners geführt hat, der es mit den Plänen aus dem Schiffsbau zu tun bekommen hat, der folgerichtig zur Marine eingezogen worden ist, den Krieg mit Mühe und Schlauheit überlebt hat und in seiner dann entfalteten reichen künstlerischen Arbeit die Disziplin, Klarheit und handwerkliche Integrität fruchtbar hat werden lassen, die er sich in seiner Ausbildung und im zuerst ausgeübten Beruf erworben hat. Die Arbeitstugenden des technischen Zeichners haben ihm ein so imposantes künstlerisches Schaffen ermöglicht und ihn über mehr als ein halbes Jahrhundert begleitet. Es war nie der billige Effekt, die effektheischende Scharlatanerie, die Gier nach den Ovationen jener Schickeria, die wir heute als Seitenblickegesellschaft kennen. Roman Hallers Arbeit ist von gediegenem Handwerk getragen, von disziplinierter Arbeit, die ihre technischen, formalen und inhaltlichen Entwicklungen gewissenhaftem Abwägen verdanken. Auf so jemanden wird man aufmerksam, wenn man in der inspirierenden Boheme der jungen zweiten Republik Karriere machen will, Rudolf Hausner heißt und eine Professur in Hamburg angeboten bekommt. So jemanden, wie den Roman Haller muß man in dieser Situation um seine Hilfe als Assistent beim Aufbau einer Malereiklasse – noch dazu in der Nachfolge eines Giganten, wie es Janssen war – bitten. Wer sonst war in der Lage, so raffinierte Farbübergänge auf so großen Flächen, ganz ohne technisches Gerät wie den Luftpinsel, nur durch das Vertreiben der Farbe zustande zu bringen und diese Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten auch zu vermitteln? Was Hausner und Haller unterscheidet, ließe sich an den Umsätzen der Konservatoren und Restauratoren bemessen. Hausner lässt sie leben und wird sie ins Brot setzen, solange sein Werk geachtet wird. Mit den Arbeiten Roman Hallers werden sie nicht reich, wohl auch nicht in den künftigen Generationen. Was die beiden verbindet ist ein Marketing-Aspekt, nämlich das Diktum der Kunstgeschichtler, das als Bezeichnung für divergente Künstler eine gemeinsame Marke, nämlich die „Wiener Schule des Phantastischen Realismus“ geprägt hat. Mitgefangen und in den zeitweiligen Arbeitsgemeinschaften mit Hausner und Hutter natürlich mit den Phantasten identifiziert, hängen Hallers Arbeiten nach wie vor als repräsentative Exponate des Phantastischen Realismus in den Sammlungen. Das ist nichts ehrenrühriges. Aber eine allzu vorschnelle Zuschreibung wird seinem Werk nicht gerecht. Denn in Roman Hallers Werk sind Referenzen zu ganz anderen Traditionen der Moderne zu entdecken, zumal in seinem Frühwerk und in seinen jüngeren Arbeiten. Hier lassen seine Arbeiten eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema dekonstruierter Räumlichkeit deutlich werden, wie es im Konstruktivismus eines Bracque oder Schwitters formuliert worden war, oder später in den Arbeiten Legers. Und diese inhaltliche Dimension in Hallers Arbeit scheint mir auch in den gemeinhin dem Phantastischen Realismus gleichsam einverleibten Werksegment wesentlicher zu sein, als die „zufällige Begegnung eines Regenschirmes und einer Nähmaschine auf einem Seziertisch“, wie es im meistzitierten Satz des Surrealistischen Manifest aus der Feder von André Breton heißt (womit übrigens die „Phantasten“ nicht als Apologeten der französischen Surrealisten desavouieren werden sollen). Wie bei Legers maschinenartigen Körpern entsteht auch in Hallers Arbeiten die Räumlichkeit aus penibel aufgebauten Farbverläufen. Die Fläche des Bildträgers gewinnt scheinbar Raum. Die oft technoiden Einzelteile mögen sich bei Haller wohl zu botanisch anmutenden Kompositionen oder zu Gestirnen verdichten, sie bleiben aber auch noch in ihrer Erscheinung der Hand des Konstrukteurs verhaftet. Die Zeichnung prägt die Komposition. Die Technik der Ausführung korrespondiert mit der Technik der Imagination, die Imagination entzündet sich am unüberbrückbaren Widerspruch zwischen Bildraum und Malfläche und sie entflammt an den Herausforderungen der Farbe. Denn alle Planung, alle Disziplin, zielt auf das Ereignis des Kolorits hin, schafft die Voraussetzung, um nicht zu sagen: den Vorwand für das gar nicht zufällige Aufeinandertreffen beispielsweise eines aus geheim bleibenden Rezepturen gemischten Blau mit den Farben norditalienischer Erde, deren Pigment durch duftende Harze und Öl zusammengehalten wird. Letztlich geht es nämlich um das Licht, das in diesen raffiniert kombinierten Pigmenten gebrochen, in unseren visuellen Apparat reflektiert wird, um in den assoziierten kortikalen Regionen neuronale Prozesse hervorzurufen, für welche man früher die Begriffe des Gemütes und der Seele strapaziert haben mag. In den Bildern von Roman Haller lebt so etwas wie ein „Erdensekretariat der Genauigkeit und Seele“ auf, von dem Robert Musil in seinem Mann ohne Eigenschaften erzählt hat. Nur: sogar in der Erzählung ist es beim Gerede geblieben. Bei Haller jedoch ist die Erzählform – der Roman – zum Namen geworden und die bei Musil zitierte Tugend zur Kunst.
Daß der Preis für Hallers Kunst so günstig ist, spricht gegen den Kunstmarkt, aber für die Gelegenheit. Nutzen Sie die Gunst der Stunde! Bereichern Sie Ihr Dasein mit dem Kauf eines Werkes!
E: johannberger@chello.at
T: 0043-676-416-06-20