Ausstellungseröffnung
Sehr geehrte Damen und Herren!
Welchen besseren Weg in diese Ausstellung gäbe es, als den Weg durch die Ungargasse! So wird die ganze Stadt zum Zeugen jener Zeitläufte, in denen Ungarn und Österreich in schicksalhaften Bewegungen miteinander verbunden und voneinander getrennt erscheinen. Wer also durch jene Ungargasse in das Stadtzentrum geht, befindet sich auf historischen Boden. Die für das Leben in Wien unentbehrlichen ungarischen Produkte sind zu Zeiten mit jenen ungarischen Kaufleuten in die Stadt gekommen, die hier ihre Herbergen hatten. Auf unserem Weg in die Hollandstraße gehen wir am Stadtpark und am Museum für angewandte Kunst vorbei. Noch vor wenigen Tagen konnte man dort einem Transparent begegnen, dessen Aufschrift ein Zitat nach dem Künstler Ad Reinhard zeigte: „Ist Kunst Kunst und alles andere alles andere?“ war hier als Frage formuliert zu lesen.
Gestatten Sie mir, diese Frage in die Hollandstraße mitzunehmen. Zuerst ist jedoch daran zu erinnern, dass die Adresse des Collegiums Hungaricum im Straßennamen – wie sollte es auch anders sein – auf Historisches verweist. Hollandstraße heißt die vormalige Stephaniestraße seit 1920, als nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie und nach den Verheerungen des ersten Weltkrieges Hilfsmaßnahmen aus Holland der notleidenden Bevölkerung Wiens zu überleben geholfen hatten.
Wollen wir, hier angekommen, die Frage in eine Behauptung wenden: „Kunst ist Kunst und alles andere ist alles andere!“
Nun zeigt sich, wie hinterhältig das Fundstück aus dem Weg hierher ist. Denn es wirft weitere Fragen auf:
Wenn Kunst Kunst ist, kann man überhaupt von ungarischer Kunst sprechen, oder von junger – denn von wo sie herkommt und welcher Autorenschaft sie entwachsen ist, gehört doch wohl in die Kategorie „alles andere“?
Schlägt sich so etwas wie Nationalcharakter oder das Geburtsjahr im Kunstschaffen nieder? Und sitzen wir nicht schon allein mit diesen Fragen Irrtümern auf? Als ob Ort und Zeit der Geburt des Künstlers gleichsam schicksalhaft die Beschaffenheit seines Werkes begründen und seinem Dasein in der Welt Punzierungen einzuprägen vermöchte! Wollten wir daran glauben, unterwürfen wir die Menschen und ihre Arbeit nicht einem Fluch, weil wir sie und ihr Tun auf die Voraussetzungen ihrer Herkunft herabbrechen wollten?
Folgen Sie bitte dieser rhetorischen Figur noch einen Schritt und setzen Sie mit mir ein Nein hinter die beiden Fragen nach der ungarischen oder der jungen Kunst. Das heißt, Kunst ist Kunst und alles andere ist alles andere. In die zweite Kategorie, jene des Anderen, fallen nun die Attribuierungen, also Historizität, Nationalität und geschlechtsspezifische Sozialisation, sowie in Zeiten des Clash of Civilisations natürlich auch der jeweilige religiöse Hintergrund. Davon, behaupten wir, ist Kunst vielleicht berührt, aber sie ist damit nicht zu identifizieren. Kunst ist Kunst und sie gehorcht ihren eigenen Kriterien, egal unter welchen politischen, kulturellen oder anderen Umfeldbedingungen sie entstanden sein mag.
Sie glauben, ich habe nicht bemerkt, wie Sie mir nur der freundlichen Konventionen wegen in die Gedankengänge dieser rhetorischen Figur gefolgt sind. Die Stadt, in der ich meine Behauptung vorbringe, straft mich ja Lügen. Wie kaum eine zweite östlich des Weißwurstäquators ist sie vom gegenreformatorischen Barock geprägt, dessen Hang zu theatralischen Inszenierungen auch noch den Gründerzeitfassaden industriell gefertigte Verkleidungen im Stil historischen Scheins verpaßte und in der Gegenwartsarchitektur den Anschein der Funktionalität pflegt, während der kundige Beobachter im Stadtplan noch immer die Grenzen der Befestigungsanlage einer römisch-antiken Ansiedlung erkennt.
Doch wenn die Baukunst in Wien, in Budapest, in wohl jeder Metropole und meinetwegen in jedem Provinznest als Chronik lesbar sein mag, sollen wir dann ausgerechnet in der Kunst ihren Zeitbezug zur unbedeutenden Marginalie herabwürdigen?
Noch dazu angesichts der Künstlerinnen und Künstler, die Károly Klimó und Peter Fuchs in dieser Ausstellung zusammengebracht haben! Denn in den hier gezeigten Arbeiten wird auf beinahe exemplarische Art deutlich, wie die Bezüge zum aktuellen internationalen Kunstgeschehen vor dem Hintergrund einer kritischen Analyse von Traditionen der Kunstproduktion zum Thema einer Generation von Künstlerpersönlichkeiten geworden ist, deren frühe Schaffensperioden nicht mehr unter den Einschränkungen durch ein autoritäres politisches Regime zu leiden haben.
So greift Zsóphia Váradi die Ikonographie der Trivialkunst auf, indem sie Malereien vom Flohmarkt weiterbearbeitet und die vorgefundenen Klischees durch ironische Interventionen bricht. Vielleicht schimmert in diesem Konzept eine Tradition durch, die sich überall dort herausbildet, wo ein beschränktes Repertoire formaler und inhaltlicher Kategorien von der Politik zum verbindlichen Kanon der Kunstproduktion erhoben und in subversiven Strategien unterlaufen wird.
Es ist wohl diese paradoxe Situation, in der sich die künstlerische Strategie zu bewähren hat: bei größtmöglicher Nähe zum Sujet auch eine gewisse Distanz zu bewahren, die uns, die wir den Arbeiten gegenüber stehen, als feiner Anflug von Ironie entgegenkommt. Das mag auch bei den Arbeiten von Róbert Batykó oder jenen von Richárd Nagy anklingen. Batykó benutzt eine elegante Arbeitsweise, um die Banalität eines alltäglichen Gerätes zu transzendieren. Was ihn von den Ikonen der Pop Art oder den Apologeten einer ehemals Neuen Sachlichkeit unterscheidet und damit unverwechselbar macht, ist seine Inszenierung grafischer und malerischer Mittel, die als eigentliches Thema seiner Arbeit nur scheinbar das Sujet zu transportieren haben. Es geht nicht um das Tonbandgerät. Es geht um das Raffinement von Lasur und pastos aufgetragener Farbe, von den präzis gesetzten Effekten des Malduktus und seines Zusammenspiels mit den scharfen Konturen einer an gebrauchsgrafische Arbeiten erinnernde Technik.
Auch Richárd Nagy bedient sich ähnlicher Techniken, wenn er wie Batykó Schablonen verwendet. Doch bedient er sich kaum mehr eines gegenständlich-formalen Vorwandes und überlässt uns unseren assoziativen Bildfindungen, wenn wir uns an Comic-ähnliche Chiffren für Bildstörungen erinnert fühlen. Was übrigens auch eine Affinität zur Arbeitsweise erahnen lässt, in der die disziplinierte Arbeitsweise eines Gebrauchsgrafikers zugunsten der Eigendynamik des Materials zurückzutreten hat. Kennt seine Malerei und ihre Zeichensprache noch ein Signifikat? Oder verweist sie letztendlich auf sich selbst zurück – und auf ihre Genese, auf den Prozeß ihrer Herstellung? Wenn ja, dann mag die provokante Frage des Ad Reinhard hier eine positive Antwort finden.
Kunst ist Kunst und beispielsweise damit beschäftigt, gleichsam explosionsartig ihre Kalligraphie zu transzendieren – um Michel Tapié aus dem Jahre 1952 zu zitieren. Das Signifikat, so die Botschaft aus der Kunstgeschichte, weicht „ einer vom erbarmungslosen Schwindelgefühl des reinen Werdens berauschten Hypersignifikanz“. Erreicht uns diese Botschaft wie ein fernes Echo in den Arbeiten von Dávid Szentgróti? Sie hat sich wie die Vorfahren aus der expressiven Abstraktion von der Mimesis an der sichtbaren Welt verabschiedet – nicht jedoch von der Mimesis an den Ideen (Copyright by Rudolf Burger). In den Arbeiten Szentgrótis wird deutlich, wie dieser Diskurs der Moderne, in dem das Medium der Malerei sich dem paradoxen Ideal einer Unmittelbarkeit des Ausdruckes annähern möchte, eine zeitgenössische Sprache finden kann.
Károly Klimó hat mit Lili Cseh und Norbert Kotormán zwei Künstlerpersönlichkeiten eingeladen, die sich der Bildhauerei zuwenden. In einem kurzen Gespräch während der Aufbauarbeiten dieser Ausstellung hat er mich darauf hingewiesen, welche zentrale Bedeutung die Bildhauerei für ein totalitäres Regime hat. Skulpturen und Plastiken prägen den öffentlichen Raum mit ihrer Präsenz und der Dominanz pathetischer Gesten. Dazu bieten die hier gezeigten Arbeiten von Lili Cseh eine Gegenposition. Sie sind gleichsam in den Raum gezeichnet. In diskreter Unaufdringlichkeit entfalten sie ihre Poesie, die uns wie ein geistreicher Aphorismus begegnet.
Sehr geehrte Damen und Herren, die hier vorgestellten Künstlerpersönlichkeiten sind nicht als repräsentatives Sample der ungarischen Gegenwartskunst präsentiert. Professor Klimó wird nicht müde, dies zu unterstreichen. Umso bemerkenswerter ist das breite Spektrum an Zugängen in die vielfältigen Diskurse aktuellen Kunstschaffens, das mit einer so kleinen Zahl vorgestellter Künstlerinnen und Künstler deutlich geworden ist. Und umso lobenswerter das Engagement des Collegiums Hungaricum, das mit Ausstellungen wie dieser einen lebendigen Weg in eine internationale Kunstwelt baut, sozusagen eine Ungargasse, der wir die Dimension einer dichtbefahrenen Autobahn zutrauen und wünschen.
E: johannberger@chello.at
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