Konzeptive Bemerkungen
Konzepte wie das vorliegende werden zurecht als vermessene Angelegenheit wahrgenommen. Das liegt in wenigstens zwei Sachverhalten begründet. Es ist tatsächlich vermessen, in eine Region, die mit ihrer Geschichte, mit ihrer topographischen Lage, mit den kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Hypotheken und Leistungen, also in ein Gefüge aufeinander abgestimmter, politisch erstrittener, erarbeiteter Einflussbereiche und Terrains mehr oder weniger behaglicher Befindlichkeiten, hier hinein also eine weitere, vergrößerte Institution hineinzudenken, deren Aufgabe keinem offensichtlich bestehenden Notstand zu begegnen scheint – sie wäre schon längst in der zu beschreibenden Form Realität geworden.
Weiters hat ein solcher Entwurf Koordinaten vorzugeben, anhand derer die tauglichen Maßstäbe städtebaulicher, architektonischer, arbeitsmarktpolitischer, makro- und mikroökonomischer, Kosten- und Nutzenerwägungen anzulegen sind.
Dieser Herausforderung ist in mehreren Schritten nachzukommen. In diesem ersten Schritt sollen die didaktisch-inhaltlichen Angebote einer Arnold Schoenberg Kunstschule umrissen werden. Die Fragen nach den Dimensionen einer Investitionsentscheidung bezüglich eines geeigneten Bauobjektes, der Ausstattung und des hier tätigen Teams müssen Überlegungen an anderem Ort überantwortet werden.
Die inhaltliche und die organisatorische Struktur (siehe Punkt 3 und 4) positioniert die Kunstschule als eine verbindende Instanz. Sie verbindet divergierende Bereiche miteinander, etwa Bildung und Ausbildung oder Regionalität und Internationalität. Sie lässt Grenzen durchlässig werden, zum Beispiel wenn Lernende mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund und verschiedenen Lebenserfahrungen zusammenkommen. Das kann und soll auch die Position im regionalen Umfeld definieren, wenn der Standort Charakteristika universitärer („Campus“) Einrichtungen zeigt, aber durch die Atmosphäre des Werkstättenbetriebes, durch eine rege Ausstellungstätigkeit, gastronomische Einrichtungen, Bookshops und ähnliche spezifisch kulturelle Konsumangebote auch für weitere, nicht unbedingt in die Lehrtätigkeit integrierte Besucher attraktiv sein kann. Dies wird umso eher gelingen, wenn auf einem gewissenhaft ausgewählten städtebaulich signifikanten Areal die Inhalte der Kunstschule eine architektonische Entsprechung erfahren. Dies kann mit der Adaptierung bestehender Objekte (z. B. Industriebauten) genauso erreicht werden, wie durch einen Neubau. Dabei ist auch die kulturelle und topographische Situation eine wertvolle Orientierungshilfe, ist die Region doch geprägt durch geologische Schichtungen und Verwerfungen wie auch durch die wirtschaftlichen und sozialen Umbrüche, wie sie nicht erst durch die Industrialisierung und die postindustrielle Zeit deutlich geworden sind.
Eine enge Kooperation mit den bestehenden kulturellen Einrichtungen (Musikschule, öffentliche Schulen, Kunsthaus, Galerie, Josef Pillhofer-Sammlung etc.) ist durch die Genese des Hauses im Umfeld dieser Einrichtungen als gesichert anzusehen. Auch die breite Akzeptanz kultureller Aktivitäten seitens der Öffentlichkeit und vor allem der Repräsentanten des öffentlichen Lebens, sei es aus dem Bereich der kommunalen Entscheidungsträger oder der Interessenvertreter, hat schon in den vergangenen dreißig Jahren ein überregional beispielgebendes vitales Kulturleben in der Region hervorgebracht, das für die weitere Entwicklung der Arnold Schoenberg Kunstschule die besten Voraussetzungen darstellt.
Das Angebotsspektrum richtet sich an alle Altersgruppen und ist demnach auch methodisch den jeweiligen Lernvoraussetzungen angemessen. Meistens wird den Intentionen der Schülerinnen und Schüler die Form des künstlerischen Einzelunterrichtes am besten entsprechen können, was nicht ausschließt, dass in den Klassen und Werkstätten Lernende aus den verschiedenen Generationen, aus unterschiedlichem regionalen, kulturellem und sozialen Herkommen arbeiten. Als Stätte der Begegnung wird das Wirken der Kunstschule über die Förderung kreativen Potenzials hinaus auf das soziale Leben des Einzugsbereiches wirken.
Ähnlich dem erfolgreichen Musikschulsystem bietet die Kunstschule kontinuierlichen und aufbauenden Unterricht in den verschiedenen Disziplinen bildender Kunst, wobei der Kunstbegriff der Vielfalt aktuellen Kunstschaffens entsprechend denkbar breit zu definieren ist. Dieses Prinzip aufbauender Vermittlungsarbeit erfährt seine Ergänzung durch singuläre kurzzeitige („Schnupperkurse“) und schwerpunktartige Angebote (Blockveranstaltungen, mehrtägige Kurse, Seminare, Symposien …).
Die Struktur der angebotenen und genutzten Lehrinhalte entspringt dem Wechselspiel aus Bildungsangeboten und nachgefragten Inhalten. Der didaktische Aufbau der Kunstschule ist demnach als lebendiger Prozess zu verstehen, in dem sich die Angebotsprofile verändern. Als Ausgangsposition für diesen weiterführenden Prozess zeichnet sich ein fünfgliedriger Angebotskanon ab, der neben den klassischen Techniken künstlerischer Arbeit auch die neuen Technologien berücksichtigt und neben der Ebene der diskursiven Begegnung mit Kunst auch eine Tangente in den Ausbildungsbereich aufbaut.
l Klassische Techniken
l Neue Technologien
l Kunstvermittlung
l Diskursebene
l Ausbildung
Die Grundstruktur der Arnold Schoenberg Kunstschule zeigt das Prinzip des aufbauenden Unterrichtes, das durch temporäre Schwerpunkte ergänzt wird. Beide Strukturelemente zeigen offene und geschlossene Angebote. So werden universitäre Vorlesungen, Übungen und Seminare primär für die Studierenden der jeweils kooperierenden Hochschulen zugänglich sein. Es wird allerdings mit den Lehrenden aus dem Hochschulbereich zu vereinbaren sein, ob und in welcher Form Gasthörer zu ausgewählten Lehrveranstaltungen zuzulassen sind. Darüber hinaus werden spezifische kurzfristige Angebote seitens dieser Lehrenden für die Kunstschule eine Ergänzung des Stammangebotes darstellen können. Aber auch ein gegenläufiger Transfer ist denkbar, zum Beispiel wenn von der Kunstschule für „Meisterkurse“ eingeladene Gastprofessoren und im Umfeld des Kunsthauses tätige Künstlerpersönlichkeiten temporär auch im Hochschulbetrieb mitwirken können. Diese lebendige Kommunikation zwischen den Institutionen wird eines der wesentlichen Erfolgskriterien für den Betrieb der Kunstschule darstellen. Speziell ein das „hauseigene“ Potenzial an hervorragend qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ergänzende Modell der Gastprofessuren wird über die Region hinausstrahlende Wirkungen zeigen und mit der Attrakivität der hier wirkenden Gäste auch eine internationale Resonanz zeitigen. Selbstverständlich werden diese „Meisterkurse“ vorrangig für die fortgeschrittenen Schülerinnen und Schüler der Kunstschule offenstehen, was jedoch externe Interessierte nicht ausschließen wird – im Gegenteil, ist doch dieses Angebot eine Basis für Begegnungen und Kontakte, die einen lebendigen Lehrbetrieb besonders auszeichnen.
Es gibt einen Ort, an dem sich die zentrifugalen Kräfte des Bildungswesens wie selten sonst deutlich abzeichnen. Es ist der Ort, wo der Mensch „in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“1. Schillers grundlegender Gedanke aus dem Jahr 1795 begleitet die Pädagogik – insbesondere die pädagogischen Bemühungen um jene bis heute so genannte „ästhetische Erziehung“2 – wohl auch noch in den Überlegungen künftiger Generationen dazu. Das Spiel jedoch widersetzt sich den nutzenorientierten Ambitionen einer an Rüstungs- und anderen Wettläufen orientierten Bildungsplanung und Bildungsökonomie3, es ist ein Fremdkörper im Repertoire der nützlichen Tugenden. Es ist sich selbst genug und zielt nicht ab auf jenes mehr oder weniger komfortable Überleben, das als Verdienst der Arbeit Verständnis und Würdigung erfährt. Vielmehr erscheint es in seiner Nutzlosigkeit selbst als utopisches, also nicht erreichbares Ziel alltagstauglicher Leistungen. Daher widerspricht alles Spiel dem an Leistungsmaßstäben orientierten Wertekanon, insbesondere, wenn Lebenschancen und Verdienstmöglichkeiten als deckungsgleiche Größen erscheinen. So wird es uns nicht verwundern, wenn im Bildungsmarkt die Anbieter berufsorientierter Qualifikationen auf wachsende Marktanteile verweisen können4; und wir werden nicht staunen, wenn sich die Angebote der Allgemeinbildung mit karriererelevanten Versprechungen um eine bildungswillige Klientel bemühen5. Wenn von Bildung gesprochen wird, ist kaum mehr die Rede von jenem Menschenbild, das Schiller bewegt hat. Bildung ist zum Synonym für Ausbildung verkommen6. Also finden wir im Zentrum des Bildungswesens jene Qualifikationsversprechen, die sich vordergründig an den Hoffnungen auf überdurchschnittliche Lebenseinkommen der Zöglinge orientieren. An den Rändern, also nahe den Abgründen der Entbehrlichkeit, finden wir – es ist paradox – die Ertüchtigungsterrains für die Märkte der Gegenwart, denn die Zukunft hat schon begonnen7.
Auch wenn es um die Apologeten der Informationstechnologien nach dem März 20008 genauso still geworden ist wie um deren Kritiker, so schließen wir aus den seither beobachteten Bewegungen an den Aktienmärkten doch auf ein solides Grundvertrauen in die vielfältigen Nutzungspotenziale binär codierter Apparaturen. Den daraus erwachsenden Kursphantasien vermag ein weiterer Investitionsanreiz zu entsprechen: die Rede ist von den Biotechnologien. Was beiden Disziplinen gemeinsam ist, lässt sich nicht erst aus den erwarteten Prosperitätsszenarien9 ablesen. Während der Alltag der so genannten Industriestaaten bereits von Informationstechnologien durchdrungen ist, ist bei den Biotechnologien noch eine Aufbruchstimmung spürbar, die an die späten Achzigerjahre des 20. Jahrhunderts erinnern, als sich die digitale Revolution bereits deutlich abzeichnete. Beiden Technologien schreiben Analysten aus tonangebenden Investmenthäusern wachsende Bedeutung für die Zukunft zu10.
Übersehen wir dabei eines nicht: beide Technologien sind genuin ästhetische Disziplinen11.
Aisthesis heißt zuerst „wahrnehmen“. Jene kulturprägende Entwicklung, in der uns die Welt vermittelt über informationstechnologische Prothesen entgegenkommt – von der Einparkhilfe über den vernetzten Kühlschrank bis zum implantierten Reizverstärker für taube oder blinde Patienten –, ist von einem Wahrnehmungsapparat getragen, der unsere Weltwahrnehmung revolutioniert. Dementsprechend haben sich daran apokalyptische und messianische Prophetien entzündet, wie sie die Anfangsphase wohl jeder technischen Innovation begleitet haben mögen, um dann bald belächelt und bedeutungslos zu verschwinden12.
Auch ein gewisses Staunen begleitet die jungen Technologien13. Wenn neue Werkstoffe in simulierten Prozeduren auf ihre Tauglichkeiten untersucht, kombiniert und uns in ebenso simulierten Produktionsabläufen dargestellt, als virtuelles Phänomen erscheinen, dann sind wir mit dem vorweggenommenen Schein eines materiellen Produktes konfrontiert, das uns wieder begegnen wird, nachdem es automatisierte Fertigungsstraßen und Lagersysteme durchlaufen hat. Das ästhetische Moment der Simulation gewinnt in den Fertigungstechniken seine Materialisierung. Dank der technologischen Entwicklungen eröffnet sich ein Gestaltungspotenzial, das neben den ethischen Problemen auch die Frage nach der ästhetischen Kompetenz aufwirft – nicht nur in Bezug auf die oft zitierten Bilderfluten aus den neuen Medien14, nicht nur in Bezug auf konkurrenzfähiges Styling funktionell und preislich identer Produkte15, sondern auch in Bezug auf die aus dem ästhetischen erwachsende Empathie gegenüber allem Leben.
Wir sind nun Zeugen geworden, wie die jüngere Technologieentwicklung das Ästhetische aus dem nutzlosen Terrain des Spieles entführt hat, um es dem Kanon nutzbringender Tugenden einzuverleiben. Ästhetische Bildung hat die Schiller’sche Unschuld spielerischen Tuns verloren. Ästhetische Bildung ist nicht nur ein Bestandteil berufstauglicher Qualifikationsprofile, sie ist im Begriff, zu einem zentralen Faktor im Wettbewerb jener Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu werden, die über wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg entscheiden.
Nun ist diese Beobachtung kein Novum in der Geschichte der Kunstpädagogik. Der damals so genannte Zeichenunterricht sollte am Ende des 19. Jahrhunderts zum Erfolg jener Industrien beitragen, deren Produkte internationalen Standards nicht entsprechen konnten. Ästhetische Gestaltungskompetenz erwuchs anlässlich der internationalen Leistungsvergleiche der jungen Industrien auf den Weltausstellungen zum akzeptierten Bestandteil bildungsökonomisch legitimierter Qualifikation. Und wenn heute gelegentlich mit Bedauern festgestellt wird, dass die heimische Finalindustrie ein noch immer beschämend enges Segment im Kuchen des Bruttoinlandsproduktes darstellt, dann wird die Aktualität dieses Themas deutlich – heute freilich ohne wahrnehmbare Konsequenz auf die Konzepte der Bildungspolitik16.
Freilich waren die Generationen an Schülern, Lehrern und Ministerialbeamten, die seither die Geschichte des Bildungswesens zu inkarnieren hatten, mit einer Vielzahl divergierender Heilserwartungen gegenüber der ästhetischen Bildung konfrontiert. Als Antagonisten im Spektrum didaktischer Konzepte sei stellvertretend an die Positionen aus den reformpädagigischen Ambitionen17 erinnert und an die Perversionen eines propagandistisch missbrauchten Unterrichtes unter kriegstreibenden Regimen. In den didaktischen Konzepten der Gegenwart sind durchaus Traditionen nachvollziehbar18, die gleichsam als Echo der Geschichte in die Methoden und Lehrziele aktueller Bemühungen einfließen. Eine spezifisch österreichische Ausprägung musischer Erziehung ist hier zu nennen: dank der charismatischen Persönlichkeit Franz Cizeks19 ist in der Zwischenkriegszeit ein Modell entstanden, das noch heute in den Diskursen zur ästhetischen Bildung präsent ist und zwar weltweit20. Seine „Jugendkunstklasse“ an der Kunstgewerbeschule in Wien orientierte sich an den damals aktuellen Entwicklungen nicht nur der bildenden Kunst; die so fruchtbare Zeit der Wiener medizinischen Schule, der Philosophie (Wiener Kreis), der Psychoanalyse, der Literatur und Theaterkunst, nicht zuletzt auch die Aufbruchstimmung in der Musik – wofür Arnold Schoenberg zu nennen ist – mag ein ermutigendes und inspirierendes Umfeld für Cizeks Werk geboten haben.
Ein Konzept, das die Erfahrungen und Traditionen historischer Kunstpädagogik kritisch zu würdigen weiß, wird es verstehen, für die Gegenwart relevante Aspekte zu finden und zu nutzen. Das zentrale Anliegen jedoch, ein für die Gegenwart und den Ort einer Kunstschule passgenaues Lehrangebot zu entwickeln, wird auch auf die wechselseitige Wirkung von Bildungsanbietern und -nachfragern aufbauen können. Das heißt: die didaktische Frage nach den Inhalten und Zielsetzungen des Lehrangebotes wird nicht als direktives Dogma vorzugeben sein, sondern aus der Dynamik eines Wechselspieles erwachsen, in dem Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Senioren die für ihre jeweilige (beispielsweise geschlechtsspezifische) Situation interessanten Entfaltungsmöglichkeiten wahrnehmen können. Was kann eine Kunstschule dazu beitragen? Sie bietet den organisatorischen Rahmen dafür und stellt Raum, Material und Fachkompetenz bereit. So kann sie diese Entfaltung im weitesten Sinne künstlerischen Vermögens provozieren und unterstützen. So kann sie die in unserer aktuellen Bildungslandschaft verfeindeten Geschwister, den homo faber, den homo oeconomicus und den homo ludens, miteinander versöhnen. Denn wer Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten im Bereich visueller Gestaltung erwirbt und entfaltet, wird die Welt nicht nur als bereichernden Quell ästhetischen Genusses erschließen, sondern auch begreifen, dass und wie diese Welt reicher wird, wenn wir ihr nicht als visuelle Analphabeten21 verständnislos gegenüberstehen, sondern in bescheidenem und gelegentlich größerem Rahmen Zeichen setzen können – sei es im geschützen Bereich intimer Privatheit, sei es in der Teilhabe an Binnenöffentlichkeiten aller Art (vom Kunstbetrieb bis zu kommunalen und regionalen Angelegenheiten), sei es im beruflichen Umfeld, wo visuelle Kompetenz bislang nur in wenigen Berufsbildern beheimatet ist22.
Anmerkungen
1) Mit Friedrich Schillers Diktum aus seinen Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ ist eine in der didaktischen Fachliteratur als Ausgangspunkt des Diskurses gewürdigte prominente Position auch hier zu nennen (Friedrich Schiller, Sämtliche Werke, Bd. 5, hrsg. von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert, München 1980, S. 616 f. und S. 618). Bemerkenswert erscheint die Aussage von Diethart Kerbs, der 1976 feststellt, dass die deutschsprachige Fachliteratur internationale Entwicklungen und Beiträge weitgehend ignoriert hat, allenfalls Rousseau und Locke erschienen zitabel. „Das heißt“, so Kerbs, „die Geschichte des Zeichen- und Kunstunterrichtes in England wie in Frankreich blieb dem deutschen Leser praktisch unerschlossen und ist es bis heute geblieben.“ (Diethart Kerbs, Historische Kunstpädagogik, Köln 1976, S. 79). Wieweit dieser Befund fast dreißig Jahre später noch gültig ist, wäre zu untersuchen, wobei die teilweise intensive Auseinandersetzung mit aktuellen Strömungen international wirkmächtiger Diskurse zu Cultural Studies, Gender Studies, Poststrukturalismus, etc. auch in der ästhetischen Erziehung deutlich geworden ist (vgl. u. a. Pierangelo Maset, Praxis Kunst Pädagogik, Lüneburg 2001).
2) Der Begriff „Ästhetische Erziehung“ umreißt in der Geschichte der Fachdidaktik eine kunstpädagogische Position, die von Einflüssen der Spielpädagogik und Erfahrungen außerschulischer Bildungsarbeit zumeist im großstädtischen Umfeld geprägt, als Alternative zu der heftig diskutierten „Visuellen Kommunikation“ (VK) wahrgenommen worden ist.„Ästhetische Erziehung verbindet die künstlerisch-ästhetischen und die sinnlich-sozialen Erfahrungs- und Aktionsebenen. Vorerfahrungen der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen werden genutzt und die in diesen Erfahrungen angelegten Interessen und Bedürfnisse mobilisiert.“ (Johann Berger, Curriculare Konsequenzen für das Fach Bildnerische Erziehung an den allgemein bildenden höheren Schulen nach der Einführung der Informatik in den Fächerkanon“, Dissertation an der Akademie der bildenden Künste, Wien 1989, S. 23). Dieser kunstpädagogische Ansatz war neben dem Animazione-Modell einer der grundlegenden didaktisch-methodischen Voraussetzungen für die Aktivitäten mit Kindern und Jugendlichen, wie sie die Walter Buchebner Gesellschaft in den Jahren zwischen 1976 und 1983 ermöglichte. (Dazu: Johann Berger, Industriekultur als Gegenstand wissenschaftlicher und kunstpädagogischer Tätigkeit, Wien 1990)
3) Das Initialereignis für die Disziplinen der Bildungsplanung und der Bildungsökonomie ist als „Sputnikschock“ in die Literatur eingegangen. Im Oktober und November 1957 ist es den Raumfahrttechnologen der UdSSR gelungen, die Satelliten Sputnik I und Sputnik II in eine Erdumlaufbahn zu befördern. Dieser Erfolg wurde in den USA und bei deren Verbündeteten als Schock erlebt. Ab sofort sollten spezielle Programme im Bildungsbereich einen vermuteten Bildungsvorsprung der Sowietunion aufholen. Von den Grundzügen planbarer Unterrichtsgestaltung, die sich an Bildungszielen zu orientieren hat und die in methodisch strukturierten Schritten aufgebaut ist, war in der Folge die didaktische Position der „bildnerischen Erziehung“ geprägt, die dem Schulfach bis heute seinen Namen gegeben hat.
4) Im Österreichischen mittleren und höheren Schulwesen ist seit einigen Jahren ein Trend zu den berufsbildenden Schulen deutlich.
2002/03 Schulen Schüler
Allgemein bildende höhere Schulen 327 189.753
Berufsbildende Schulen 674 310.163
Quelle: http://www.bmbwk.gv.at/start.asp?bereich=3&OID=1533&l1=15&l2=25&l3=143
Vergleiche auch: http://www.ibw.at/HTML/rb/PDF/schm_099_03_rb.pdf
In der Ausgabe des „ibw-research briefes“ vom September 2003 beschreibt Kurt Schmid die regionalen Bildungsströme in Österreich und bietet Entwicklungsszenarien mit einem Prognosehorizont 2020 an.
5) Berufsrelevante Bildungsinhalte gewinnen im Wettbewerb der Schulstandorte vor allem in den Ballungsräumen auch in den AHS an Bedeutung. Hier gehören nicht zuletzt angebotene Fremdsprachenschwerpunkte, aber auch Präsentationstechniken oder Mediation zu den als Soft Skills bezeichneten Qualifikationsangeboten.
6) Wieweit die Schulentscheidung im Hinblick auf spätere Berufschancen getroffen werden, wird auch deutlich wenn diese Frage in den Medien auftaucht. Als Beispiel sei hier die Jänner-Ausgabe 2003 des Wirtschaftsmagazins Gewinn zitiert. Der österreichische Marktführer im Bereich der monatlich erscheinenden Wirtschaftsmagazine bietet das Thema auf der Coverseite mit den Worten:
„Die beste Ausbildung für Ihr Kind
Die alte Schule ist tot – neue Schultypen locken mit Karriereturbo:
Ab Februar werden die besten Plätze vergeben!
Totalüberblick: Die derzeit modernsten Schulen in ganz Österreich
Was ist besser: Private oder öffentliche Schule?
Die richtige Schulauswahl: Tipps von Insidern
Gewinn-Test: Welcher Beruf zu Ihrem Kind passt, gratis unter www.gewinn.com“
7) Mit dem Titel seines 1952 erschienenen Buches „Die Zukunft hat bereits begonnen“ ist Robert Jungk eine Formulierung gelungen, die in die Alltagssprache als rhetorisches Standardelement integriert ist und die wohl oft ohne Bezug auf den Urheber verwendet wird. Es sei hier auch auf den Untertitel verwiesen, er heißt: „Amerikas Allmacht und Ohnmacht“ und erscheint angesichts aktueller geopolitischer Ereignisse nicht unaktuell.
8) Im März 2000 haben die zum Teil dramatischen Kursverluste an der NASDAQ und anderen Börsen für Technologieaktien eingesetzt. Damit war ein Boom beendet, in dessen Verlauf die Grundgesetze der Bewertung von Aktien bedeutungslos erschienen waren. Die Substanz der gehandelten Papiere war in groteskem Mißverhältnis zu den Kursen. Der Begriff der „New Economy“ wurde zum Euphemismus für eine Spekulationsblase, die mit ihrer Implosion die internationalen Finanzmärkte und in der Folge die – verstärkt durch die Ereignisse vom 11. September 2001 – Konjunkturentwicklung der industrialisierten Welt in Turbulenzen trieb.
9) Seit seinen höchsten Notierungen über 5000 Punkten im Jahr 2000 hat der NASDAQ-Composite-Index einen Kursverfall auf beinahe 1000 Punkte im Jahr 2002 erlitten. Danach zeugt ein Anstieg auf über 2150 im Jänner 2004 vom zurückkehrenden Vertrauen der Anleger in diesen Markt.
10) Als Beispiel für einen vorsichtigen Optimismus sei auf die Empfehlung einer in Österreich beheimateten Kapitalanlagegesellschaft verwiesen, Anteile eines in Internet-Aktien investierenden Fonds sukzessive aufzubauen und dieses Segment stärker zu betonen. (Capital Invest Aktuell. Der monatliche Fonds-Report. Wien, Jänner 2004, S. 49)
11) Darauf haben nicht zuletzt Wolfgang Welsch und Peter Sloterdijk hingewiesen:
Wolfgang Welsch, Grenzgänge der Ästhetik, Stuttgart 1996;
Peter Sloterdijk, Regeln für den Menschenpark (liegt als Manuskript vor, inzwischen wohl bei Suhrkamp erschienen). Sloterdijks heftig diskutierter Text kreist um die Frage nach einem zeitgemäßen Humanismus-Begriff, der in einer Gegenwart bestehen kann, in der das dechiffrierte Genom zur Handelsware geronnen ist und „Anthropotechniken“, wie er den gestaltenden Zugriff auf die menschliche Reproduktion nennt, eines zu erarbeitenden Codex bedürfen, als ein verbindliches Regelwerk ihrer Anwendung.
12) Peter Rosegger schildert in einer Erzählung das Entsetzen angesichts der fauchenden und funkenstiebenden Dampflokomotive:
„Auf der eisernen Straße heran kam ein kohlschwarzes Wesen. Es schien anfangs stillzustehen, wurde aber immer größer und nahte mit mächtigem Schnauben und Pfustern und stieß aus dem Rachen gewaltigen Dampf aus. Und hinterher –
,Kreuz Gottes!‘ rief der Jochem, ,da hängen ja ganze Häuser dran!‘“
Peter Rosegger (1843-1918), Waldheimat. Als ich das erstemal auf dem Dampfwagen saß.
Die Semmeringbahn wurde vor 150 Jahren, 1854 fertiggestellt.
13) Wolfgang Welsch, Grenzgänge der Ästhetik, Stuttgart 1996, S. 14 f.
14) Hier ist als prominenter Kritiker der Neuen Medien Neil Postman (3. 8. 1931 bis 5. 10. 2003) zu nennen, der angesichts eines überflutenden bildzentrierten Medienangebotes den Verfall der Literalität prognostizierte.
15) Wie weitgehend idente Produkte durch Werbebotschaften voneinander abgehoben werden können, war für die „Visuelle Kommunikation“ in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine jener Beobachtungen, an denen die Autoren didaktischer Beiträge ihre medienkritischen Analysen entfalten konnten. Vgl. Hermann K. Ehmer (Hrsg.), Visuelle Kommunikation. Beiträge zur Kritik der Bewußtseinsindustrie. Köln, 1971.
16) Seit den achziger Jahren ist die Anzahl der Unterrichtsstunden für Bildnerische Erziehung kontinuierlich eingeschränkt worden. Die Bemühungen des „Bundes österreichischer Kunst- und Werkerzieher“, gegen diesen bildungspolitischen Trend mit öffentlichkeitswirksamen Aufrufen und Solidaritätsadressen wirksam zu werden, sind kaum erfolgreich gewesen. Offensichtlich mangelt es diesem Unterrichtsfach an Legitimationsstrategien, die mit den Notwendigkeiten und Zielsetzungen der Bildungspolitik kompatibel sind.
17) Die unter dem Terminus „Reformpädagogik“ zusammengefassten Strömungen am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts sind trotz zum Teil unterschiedlicher individueller Ausprägungen (zu nennen wären u. a. Ellen Key, Maria Montessori, John Dewey, Alfred Lichtwark, Rudolf Steiner und in Österreich Otto Glöckel und Franz Cizek) durch die Intention zu beschreiben, neue schulische Formen zu entwickeln, die den Frontalunterricht durch eine methodische Vielfalt ersetzt oder ergänzt (Gruppenunterricht, erlebnisorientiertes Lernen, etc.). Die neuen Erkenntnisse aus der damals jungen Entwicklungspsychologie haben zu den Theorien und Methoden der „Musischen Erziehung“ beigetragen. Hier sollte dem Kind ein Entfaltungsbereich angeboten werden, wo es aus sich selbst heraus schöpferisch tätig werden sollte.
18) Die verschiedenen didaktischen Einflüsse auf den Unterricht lassen sich auch in den Lehrplanformulierungen ablesen. Vgl. dazu: Johann Berger, Curriculare Konsequenzen für das Fach Bildnerische Erziehung an den allgemein bildenden höheren Schulen nach der Einführung der Informatik in den Fächerkanon“, Dissertation an der Akademie der bildenden Künste, Wien 1989, S. 70 f.
19) Franz Cizek (1865 bis 1946) hat mit internationaler Ausstellungstätigkeit seiner Jugendkunstklasse an der Wiener Kunstgewerbeschule öffentliche Aufmerksamkeit erschlossen. Über seine Arbeitsweise sagte er: „Die Methode ist vollkommen frei, sie untersteht keiner Vorschrift, keinem Zwange. Es ist dies eine der wichtigsten Voraussetzungen einer gedeihlichen Kunsterziehung, dass sich alle Unterrichtsmethoden aus dem Milieu der Klasse, aus den Wechselwirkungen von Lehren und Schaffen, sowie aus den persönlichen Beziehungen von Lehrer und Schüler entwickeln und immer wieder neugestalten. Alle aus Kanzleien und Büros hervorgegangenen Lehrvorschriften führen fast immer zu einem pädagogischen Dilemma oder persönlichen Konflikten. Einen Lehrplan kennt der Kurs nicht und perhorresziert auch einen solchen, namentlich die vom Leichteren zum Schwierigen fortschreitenden Lehrgänge.“ Franz Cizek, in: Internationaler Kongress für Kunsterziehung, Hauptbericht. Dresden 1912, S. 473. Zitiert nach:Hans Bisanz, Franz Cizek – Kunstpädagogik für das „Jahrhundert des Kindes“, in: Franz Cizek, Pionier der Kunsterziehung. Ausstellungskatalog des Historischen Museums der Stadt Wien zur 95. Sonderausstellung, Wien 1985, S. 13.
20) Wie sehr der Name Cizeks weltweit präsent ist wird deutlich, wenn er als Suchbegriff in der Internet-Recherche eine Fülle an Resultaten zeitigt. Unter den 369 Suchergebnissen fanden sich auch Einträge von japanischen, koreanischen und chinesischen Seiten.
21) Als Entsprechung zum Bildungsauftrag der Alphabetisierung hat in der damals aktuellen Diskussion zur Medienpädagogik Axel von Criegern den Begriff der „Ikonisierung“ angeboten. Axel von Criegern, Bildsprachen und Medienerziehung, Bildnerische Erziehung, Werkerziehung, Textiles Gestalten, Fachblatt des Bundes Österreichischer Kunst- und Werkerzieher, 3+4/87, S. 8.
22) Wie weit reichend visuelle Kompetenzen als alltagstaugliche Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten verstanden werden können mag deutlich werden, wenn oft das Anfertigen einfacher Verständigungsskizzen als unüberwindliche Schwierigkeit erfahren wird, oder wenn es an der Fähigkeit mangelt, solche graphischen Notizen oder Pläne zu entziffern. In solchen banalen Situationen offenbaren sich die Mängel eines Bildungswesens erbarmungslos. Doch während ein entsprechendes Defizit beispielsweise in der Sprachkompetenz öffentlichkeitswirksame Diskussionen auszulösen im Stande ist, erscheint ein weit verbreitetes Unvermögen im Umgang mit einfachsten graphischen Kommunikationsmitteln als tolerabel.
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