Ausstellungseröffnung
Sehr geehrte Damen und Herren!
Kremsmayer malt. Nicht ausschließlich, denn er dehnt seine Malerei in alle poetischen Richtungen aus, sei es hin zum bewegten Bild des Mediums Video, sei es hin zum Theater oder zur Architektur; der Anlaß heute lenkt die Aufmerksamkeit auf seine Malerei, also auf jene Kunst, in der flüssiges bis pastoses Material auf die Fläche aufgebracht wird, dort trocknet und als Film oder Kruste überraschend lange Zeiträume überdauern kann. Zuweilen taugt dieses Phänomen als Massenspektakel, beispielsweise wenn vor dem Bode-Museum in Berlin Menschenschlangen anstehen, um sich an den dort ausgestellten Renaissanceportraits vorbeizuschieben. Danke, dass Sie heute das Gut Gasteil bevorzugen. Sie befinden sich damit in elitärer Gesellschaft. Das mögen Sie zum einen daran ermessen, dass Sie – im Unterschied zu den Kunstbegeisterten in Berlin – ohne stundenlang anzustehen hierher kommen konnten. Wenn Ihnen darüber hinaus die Arbeit des Hermann Kremsmayer bereits bekannt sein sollte, wissen Sie sich noch dazu in bemerkenswerter Gesellschaft, sozusagen in kunstverständiger Augenhöhe mit der für die Kunst zuständigen Ministerin. Ganz am Beginn ihrer Amtszeit ist sie von fiesen Journalisten nach ihren Lieblingsmalern gefragt worden. So etwas fragt man natürlich nur mit unlauteren Absichten. In ihrer authentischen Antwort sind die Namen Hermann Kremsmayer und Andrea Bischof gefallen. Die Frau Minister wird danach wohl die Annehmlichkeiten mancher Schlangengruben kennengelernt haben, die an den Adressen des Kunstbetriebes aufzufinden sind.
Es ist ein großes Unterfangen, dem sich die Arbeit Kremsmayers widmet, geht es doch um nichts Geringeres, als um die Freiheit der Kunst. Das ist ein aktuelles Thema, auch weil das Schicksal beispielsweise eines prominenten Künstlers in China bei uns für Schlagzeilen taugt. Es geht heute aber ebenso um die Frage, ob Kunst sollen darf, also ob Kunst, bei Kremsmayer die Malerei und die Grafik, ob sie einem außerkünstlerischen Unterfangen vorgespannt sein darf, ja soll. Zu den international erfolgreichsten Künstlerpersönlichkeiten zählen einige, die darauf antworten würden, „meine Kunst ist nur der Kunst verpflichtet, keiner darüber hinaus weisenden Ambition“. Ihre Bildinhalte, seien sie abstrakt oder gegenständlich ins Bild gesetzt, bleiben allenfalls Anlaß der künstlerischen Anstrengung, nie sind sie ihr Zweck. Diese Freiheit der Kunst, in der die Inhalte bedeutungslos, allenfalls reizender und marketingtauglicher Vorwand für die Produktion bleiben, diese Freiheit bezeichnet Kremsmayer als nihilistischen Ausdruck neoliberaler Umstände.
Er hat etwas anderes vor. Für ihn sind die souverän gehandhabten Techniken und Gestaltungsmittel nie sich selbst genug. Er stellt sie in den Dienst eines abenteuerlichen Vorhabens. Er sagt das so: „es wäre schön, wenn meine Bilder helfen, die Menschen zur Welt zu bringen.“
Das ist ein überraschendes Vorhaben. Nun mag die Kunst, Menschen zur Welt zu bringen, dem Vater zweier wohlgeratener Söhne halbwegs vertraut geworden sein. Doch dass seine Hebammenkunst sich der Malerei bedienen möchte, wird Sie vielleicht verwundern. Außer, Sie sind wie der Künstler belesen und mit der Philosophie Jean-Paul Sartres vertraut. Dann kennen Sie diesen Gedanken, nach dem „der Mensch als solcher nicht geboren wird, sondern erst, wird‘“. Und sie wissen dann auch, dass dieser Gedanke bereits beim späten Nietzsche auftaucht, wenn er darüber nachdenkt, „Wie man wird, was man ist“. Und dass der wiederum den griechischen Dichter Pindar aus dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert zitiert, dessen „Werde, der du bist“, nun den Weg in die Kunst Kremsmayers gefunden hat. Etwa zwei Jahrzehnte nach Pindars Tod ist übrigens Sokrates als Sohn einer Hebamme auf die Welt gekommen. Seine philosophische Mäeutik, Hebammenkunst, führte seine Gesprächspartner durch geschicktes Fragen zur Wahrheit.
Hermann Kremsmayer malt Menschen. Das verbindet ihn mit den Renaissanceportraits in Berlin. Und er hätte das altmeisterliche Handwerk in der Akademie bei Lehmden durchaus erlernen dürfen. Doch die Begegnungen mit Künstlern wie Max Weiler in Wien oder Antoni Tapies in Spanien, seine Aufenthalte in Paris, New Mexico und New York, die Anregungen aus seinen intensiven Studien der Kunstgeschichte haben ihn zu einer Arbeitsweise geführt, in der er kühn anmutende Materialkombinationen auf der Basis profunder Maltechnik entwickeln konnte. So erreicht er es, dass die Farbe Bildräume eröffnet und gleichzeitig die raffinierten, zum Teil an Tapies erinnernden, sandigen Oberflächen die Raumillusion wieder unterlaufen und das Kunstwerk als Objekt ins Bewußtsein holen. „Ecce manufactum“, könnte man sagen, „siehe, von Menschenhand gemacht“, kein Illusionismus versucht einen Betrug am Betrachter. Mit diesen ambivalenten Bildräumen ist die Bühne für die dort auftretenden Menschen bereitet. Oft sind sie mit dem Hintergrund wie verwachsen, selten von ihm abgelöst. Meist können wir sie beobachten, wie sie sich nackt durch die Farbnebel und -Krusten arbeiten. Ihre Gestalt verdanken sie der wohlwollenden Begleitung durch den Künstler. „Ich kann ihn in seine Umgebung einsacken lassen,“ sagt er über den porträtierten Menschen, „sodass er sich fast auflöst, wie es das Bewusstsein über einen selber kurz vor dem Einschlafen hält, oder ihn sich durch den Nebel der Abhängigkeiten und Vorurteile schlagen lassen, damit er sich scharf und klar von seiner Umgebung abgrenzt. Dann vereinzelt er mir und steht allein da.
Ich betone den Menschen als sexuelles Wesen, definitiv mit den körperlichen Vorzügen des Mannes und der Frau, oder lasse sie weg, ein gleichsam androgyner Mensch.“
Die Porträts aus Kremsmayers Hebammenkunst sind keine banalen Abbilder. Das ließe die Arbeitsweise gar nicht zu. Zu viel Freiheit gewährt Kremsmayer dem Material, vor allem, wo es sich dünnflüssig ausbreiten darf. Und gelegentlich frequentieren Körperteile als Abdruck die Bildfläche, meist entstehen dann reliefartige Oberflächen, die nicht beanspruchen können, ihre Form der Hand des Künstlers zu verdanken. Das hat Charme, der sich für manche dort entfaltet, wo der Körperkontakt mit der Malfläche ein Lächeln im Porträt hinterlassen hat, das naturgemäß nicht waagrecht daherkommt und an Delacroix’ „Ursprung der Welt“ gemahnt. Aber mehr noch – wo das Material gleichsam tun darf, was ihm der Künstler in seiner meisterlichen Souveränität zugesteht, wo der Zufall Raum erhält, an diesen gar nicht seltenen Adressen im Œuvre Kremsmayers lebt ein längst vergessen geglaubtes Requisit aus dem Fundus antiker Begeisterungen. Die Zeit Pindars kannte Kultbilder, die, als Diipetes bezeichnet, der Überlieferung nach nicht aus der Hand eines Menschen entstanden sind. Sie sind den Menschen zugefallen. „non humana manu factum sed de caelo lapsum“, nicht von Menschenhand gemacht, sondern vom Himmel gefallen, so erzählt Cicero. Später ist aus den dominanten Sprachwelten der hellenistischen Globalisierung dazu die römisch-griechische Wortkombination „vera ikon“ erwachsen, das „wahre Bild“, auf das in der volksetymologischen Deutung die hl. Veronika mit ihrem Namen und mit ihrer Legende verweist.
Kremsmayer spannt seine Kunst in den Dienst an der Wahrheit. Seine Bilder bezeugen das lebenslange menschliche Schicksal, zur Welt zu kommen. Er lädt uns ein, als Porträtierte und als Betrachter, die Freiheit dieses Abenteuers auszuloten. Nehmen wir diese Einladung an! Ich wünsche Ihnen dazu inspirierende Begegnungen.E: johannberger@chello.at
T: 0043-676-416-06-20