Ausstellungseröffnung
Sehr geehrte Damen und Herren,
Unter dem Titel des geheimnisvoll anmutenden Jahresthemas „mein sein s“ eröffnet die Galerie Gut Gasteil heute die Ausstellung mit Arbeiten von Andrea Schnell und Edgar Holzknecht. Und: im parallel laufenden Programm „Kunst in der Landschaft“ gilt es, die Installation „How to buy an Attersee“ vorzustellen. Selten sind an diesem Ort unterschiedlichere künstlerische Positionen aufeinander getroffen. Dem gilt es, mit den nun folgenden Worten gerecht zu werden.
„mein sein s“, das Jahresthema, erscheint vieldeutig. Den möglichen Interpretationen ist vielleicht eines gemeinsam, die Begegnung von „Ich“ und „Du“, die Entfaltung des jeweils eigenen Seins in der Abgrenzung von Anderem, wer weiß, vielleicht auch in der Verschmelzung beider. Gelegentlich kommt das Andere, fremd anmutende von innen. Wer je diesen abenteuerlichen Blick nach innen gerichtet hat, wird ahnen, welche Abgründe sich hinter den geschlossenen Augen auftun können. Expeditionen in die intimen Innenräume lassen uns die Ambivalenz dieses „Seins“ deutlich werden. Im selben Augenblick kann nämlich aus der Innenschau sowohl Seinsgewissheit als auch innere Fremde erwachsen. Denn was dort gelegentlich erscheint, kann unerwartet, beschämend, manchmal auch erheiternd, ermutigend, jedenfalls aber als Gegenüber erscheinen. Die Innenwelt beherbergt Pandämonien, denen nur ein mutiges „Ich“ entgegen zu schauen vermag. Es wird dafür belohnt. Es kann behaupten: Ich schaue, also sind wir. Das unterscheidet die antiken Mysterienkulte von der Philosophie eines Descartes. In der alten Welt bezeichnete der Begriff „myein“ das Schließen von Augen und Mund. Daraus ist eine umfangreiche Wortfamilie entstanden, zu der die Mystik und die Mythologie gehören mögen.
Vielleicht kann man zurecht behaupten, Andrea Schnell und Edgar Holzknecht sind Pfandfinder in den Terrains, die der Blick nach innen mit geschlossenen Augen eröffnet. Und doch unterscheiden sich ihre Berichte aus diesem Kontinent. Andrea Schnell erzählt von „inneren Zuständen“, von „psychischen Verfassungen“, von den Spielweisen, in denen Körper, Geist und Seele interagieren. In einem großartigen Text zu den Arbeiten von Andrea Schnell weist Brigitte Borchardt-Bierbaumer darauf hin, in welcher verblüffenden Nähe diese Bildfindungen zu den Erzählungen der alten Kulturen, beispielsweise des antiken Ägyptens stehen. An „Altägyptische Porträts und afrikanische Kunst“ erinnerten demnach die über die Bildfläche irrlichternden Gestalten.
Edgar Holzknecht hingegen begegnet zuerst der Welt „draußen“. Sein offener Blick durchmisst die Welt und beschaut dort Gebautes, Landschaft, Pflanzliches und Figuren. Das sind die vier Kategorien seines künstlerischen Kosmos. Bevor sie auf die Bildfläche geraten, durchlaufen die visuellen Fundstücke aus seinem skopischen Treiben einer komplexen Prozedur. Als ob sie der Sehapparat verdaut hätte, auf ihr Wesentliches hin extrahiert haben wollte, geraten die Skizzen dieser Fundstücke auf die Leinwand, und erinnern nun an Formeln. Es sind zuerst sparsame, reduzierte Zeichnungen, auf die Holzknecht dann Farbschichten legt. Es scheint, als ob der Blick nach innen dem visuellen Echo der Welt da draußen nachspürt. Als ob das Wesen der Dinge erst in jenen alchemistischen Prozessen zutage gefördert wird, wie sie in der Dunkelheit hinter den geschlossenen Augen abzulaufen pflegen.
Die Kunst von Andrea Schnell und Edgar Holzknecht entsteht in intimen Räumen. Größer könnte der Kontrast zu einem Baucontainer nicht sein. Solch ein Quader steht auf dem Gelände, das die Seidls der „Kunst in der Landschaft“ erschlossen haben, heuer unter dem Titel „Mein Raum“. Eine Gruppe junger Künstler_innen bespielt diesen Container mit einer Installation, die den Titel trägt „How to buy an Attersee“. Magdalena Fischer, Denise Fragner, Mona Hermann, Delal Isci, Matthias Julian, Thomas Trabitsch, Julischka Stengele und Marlies Surtmann studieren an der Akademie der bildenden Künste in Wien und haben sich dort zusammengefunden, um in einer „freien Klasse“ ihr Kunststudium selbst zu organisieren. Tatsächlich beherbergt der Baucontainer nun eine Originalgrafik aus der zuvor in der Galerie gezeigten Ausstellung mit Arbeiten Christian Ludwig Attersees. Die Künstler_innen haben die Grafik gekauft. Das Geld dazu und die finanziellen Mittel für die Kosten, die ihnen im Zusammenhang mit diesem Vorhaben erwachsen sind, mussten sie erst verdienen. Das ist ihnen im vergangenen Sommer gelungen, indem sie diverse Arbeiten, von der Reparatur dieser Treppe bis zu Gartenarbeiten (unter anderem bei mir) gegen Stundenhonorare erledigt haben. Die Dokumentation dieser Anstrengungen liegt im Container auf.
Es erscheint naheliegend, dass sich Studierende der Künste mit den Bedingungen befassen, unter denen Kunst entsteht, gehandelt und aufgenommen wird. Doch selten sind diese Fragen so elegant in eine Form gebracht worden. Beispielsweise die Frage nach dem Wert und dem Preis von Kunst: sie kommt uns auf bemerkenswerte Weise entgegen, wenn wir nachvollziehen, was alles zu leisten war, bis die Originalgrafik erarbeitet war. Die vielfältigen Anstrengungen sind allesamt dem Diktat unterschiedlicher Nützlichkeiten gefolgt. Sei es in meinem Garten, jenem der Familie Trabitsch oder der Galerie Gut Gasteil. Dass dem gegenüber die Kunst keinem Diktat unterworfen ist, außer dem ihrer eigenen Freiheit, gehört zum Repertoire zeitgenössischen Kunstverständnisses. Wie aber verhält es sich, wenn der Erwerb eines Kunstwerkes und die Erarbeitung der dazu notwendigen Geldscheine, wenn das alles selbst zum Bestandteil eines Kunstwerkes wird, das nun in einem weißen Quader auf der grünen Wiese zum Besuch einlädt? Ist das Loch in meinem Garten, das die Künstler_innen ausgehoben haben, nun Teil dieses Kunstwerkes? Genauso wie die Originalgrafik Attersees?
Sehr geehrte Damen und Herren, der weiße Container beherbergt in Wahrheit ein Labyrinth, in das uns die Künstler_innen aus der freien Klasse einladen. Wenn Ihnen schwindelt, ob der komplexen Fragestellungen, die in den geistigen Wandelgängen dieser charmanten Installation lauern, schließen Sie Ihre Augen und Lippen und erforschen Sie die dunklen Terrains, die sich nun eröffnen. Angeblich schlummern dort zuweilen Antworten auf Fragen, die das Tageslicht nicht zulassen möchte. Oder suchen Sie das Gespräch mit den Künstlern und Künstlerinnen. Dabei wünsche ich Ihnen erhellende Erfahrungen.E: johannberger@chello.at
T: 0043-676-416-06-20